Der 27. Januar ist alljährlich der “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus”. Es ist auch der “Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz”. 2025 gedenken wir dieses Tages zum achtzigsten Mal. Erinnert werden soll an diesem Tag an alle Opfer der Shoah und der Verfolgung.
Als der Bundespräsident Roman Herzog 1996 den 27. Januar zu einem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärte, führte er in seiner ersten Rede dazu aus, Auschwitz stehe symbolhaft für millionenfachen Mord – vor allem an Juden, aber auch an anderen „Volksgruppen“, wie er erläuterte. Daher wünschte er sich – und das war zu dieser Zeit noch keineswegs Konsens in der deutschen Bevölkerung –, der 27. Januar möge zu einem Gedenken des deutschen Volkes anregen, zu einem wirklichen Tag, so seine Formulierung, des Gedenkens, ja des Nachdenkens.
Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2025 hat das Haus des Dokumentarfilms eine bundesweite Initiative angeregt, in deren Verlauf deutschlandweit in verschiedenen Kinos Dokumentarfilme zur Shoah gezeigt werden.
„Immer offensiver und rücksichtsloser zeigt sich ein feiger Antisemitismus in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik. Das Haus des Dokumentarfilms setzt mit einer bundesweiten Film-Initiative ein deutliches Zeichen gegen diese Gesinnung und geschichtslose und menschenverachtende Pose. Dokumentarfilme dokumentieren den Mord an den Juden Europas; Überlebende der Shoah legen Zeugnis ab von den Gräueln in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und berichten auch vom jüdischen Widerstand gegen die SS-Wachmannschaften. Ich bin dankbar, dass sich so viele Personen, Institutionen und Kinos dieser Initiative angeschlossen haben und in verschiedenen Veranstaltungen laut gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben eintreten.“
Eric Friedler, Initiator und Geschäftsführer Haus des Dokumentarfilms
Shlomo Venezia ist 20 Jahre alt, als er nach Auschwitz kommt. Er wird für die Arbeit im sogenannten Sonderkommando selektiert: Er muss den Deportierten den Kopf rasieren, sie in die Gaskammer begleiten, die Leichen verbrennen. Er überlebt, gründet eine Familie und schweigt lange Zeit über das Erlebte. Im Jahr 2000 wird er zum Protagonisten eines Dokumentarfilms, der nun ebenfalls in Berlin gezeigt wird. Er und die der anderen Überlebenden prägen als Zeugen der Shoah unser Bild von Auschwitz, dem Ort, der zum Symbol des Massenmords geworden ist.
An die Schrecken und Gräuel in Auschwitz erinnert sich der Überlebende Shlomo Venezia so:
„Es ist schwer, sich das heute noch bewusst zu machen, aber damals dachten wir einfach nichts, wir konnten kein einziges Wort miteinander wechseln. Nicht, weil es verboten gewesen wäre, sondern weil wir völlig verstört waren. Wir waren zu Automaten geworden, die Befehlen gehorchten und die versuchten, das Denken abzuschalten, damit wir noch einige Stunden länger am Leben blieben. Birkenau war wirklich die Hölle, niemand kann das verstehen und sich in die Logik dieses Lagers hineindenken. Darum will ich so viel wie möglich erzählen, aber nur das, woran ich mich wirklich erinnere und was ich ganz sicher gesehen habe, sonst nichts.“
Den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz nehmen wir in Berlin zum Anlass, um in Kooperation mit der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und dem Bundesplatz-Kino fünf Filme zu zeigen, in denen der Ort Auschwitz, seine Opfer und Täter im Zentrum stehen. Die Entstehungszeiten der Dokumentationen umspannen fast acht Jahrzehnte. Was sagen sie uns Zuschauenden heute über diese Todesfabrik – können wir etwas verstehen?
Filmreihe im Bundesplatz-Kino
26. Januar-3. Februar 2025
26. Januar 2025 / 15:00 Uhr
German Concentration Camps Factual Survey
GB 1945, Produzent: Sidney L. Bernstein / Treatment, Beratung: Alfred Hitchcock, 70 Min.
Einführung: Wolfgang Jacobsen, Filmhistoriker, Berlin
Im Anschluss an den Film Gespräch mit Dr. Elke Gryglewski, Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und Dr. Julia Schumacher, Haus des Dokumentarfilms
Moderation: Dr. Ruth Preusse, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Im Februar 1945 initiierte das britische Ministry of Information einen Film, der die Gräuel der deutschen Täter in den Konzentrations- und Vernichtungslagern dokumentieren sollte: Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Bergen-Belsen. Federführend war der Produzent Sidney L. Bernstein. Alfred Hitchcock, um Hilfe bei der Realisierung gebeten, willigte ein, als Berater an Treatment und Schnitt mitzuwirken. Doch wurde der Film letztlich nicht fertig gestellt. Wohl auch, weil den Machern die Bilder als zu grausam erschienen. So verschwanden die Materialien im Archiv. 2008 restaurierte das Londoner Imperial War Museum die überlieferten Materialien unter dem Titel „German Concentration Camps Factual Survey“.
27. Januar 2025 / 18:00 Uhr
Ein einfacher Mensch
BR Deutschland 1987, Regie: Karl Fruchtmann, 103 Min.
Einführung: Prof. Dr. Karl Prümm, Literatur- und Medienwissenschaftler
Im Anschluss an den Film Gespräch mit Prof. Dr. Karl Prümm
Moderation: Wolfgang Jacobsen, Filmhistoriker
Ein Film über die Last des Überlebens der nach Israel geflohenen Auschwitz-Häftlinge und über eine zweite Befreiung aus der Einsamkeit des Schweigens durch die erzählende Erinnerung an die Schreckenswelt des Lagers.
2. Februar 2025 / 15:00 Uhr
Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk (I)
BR Deutschland 1981, Regie: Karl Fruchtmann, 117 Min.
Einführung: Dr. Julia Schumacher, Haus des Dokumentarfilms
Im Anschluss an den Film Gespräch mit Dr. Lea Wohl von Haselberg, Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF
Moderation: Dr. Julia Schumacher
Karl Fruchtmanns „Zeugen – Aussagen zum Mord an einem Volk“ war der erste Dokumentarfilm im deutschen Fernsehen, der Überlebende der Shoah in Interviews ausführlich zu Wort kommen lässt. Ästhetisch puristisch, direkt. 1981 ein radikaler Gegenentwurf zu fiktionalen Dramatisierungen und dominanten Täterperspektiven gleichermaßen.
3. Februar 2025 / 18:00 Uhr
Lagerstraße Auschwitz
BR Deutschland 1979, Regie: Ebbo Demant, 60 Min.
Einührung Eric Friedler (Haus des Dokumentarfilms)
Im Auftrag des SWF drehte Ebbo Demant für die Sendereihe „Menschen und Straßen“ die Dokumentation „Lagerstraße Auschwitz“. Ausgestrahlt wurde der Film am 22. April 1979 in der ARD. Er befragte in ihrer Haft die drei SS-Männer Josef Erber, Oswald Kaduk und Josef Klehr, die im Frankfurter Auschwitz-Prozess wegen tausendfachen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt und zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Ein nüchterner Zeugenbericht vom Alltag der Täter im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Morden nach Dienstplan. Demants Film ist ein Dokument der Bedrohung des Menschen durch sich selbst.
PAUSE
Sklaven der Gaskammer – Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz
BR Deutschland 2000, Regie Eric Friedler, 45 Min.
Im Anschluss an die Filme Gespräch mit Eric Friedler (Haus des Dokumentarfilms).
Moderation: Wolfgang Jacobsen.
Wie ging der Massenmord in Auschwitz-Birkenau vor sich? Die Arbeitssklaven der Häftlings- ‚Sonderkommandos‘ waren – außer den Tätern – die einzigen Augenzeugen. Shlomo Venezia (1923-2012) und Henryk Mandelbaum (1922-2008) berichten von der erzwungenen ‚Spurenbeseitigung‘ der Morde in Auschwitz-Birkenau. Nach ihrer Befreiung sagten sie vor den Alliierten oder in Prozessen über die Grausamkeiten der SS aus; im Film sprechen sie auch über den Aufstand der ‚Sonderkommandos‘ gegen die SS-Wachmannschaften. Ihren Familien jedoch verschwiegen sie die Ereignisse. In dem Film geben sie zögernd Auskunft über ihre traumatischen Erlebnisse, die sie lebenslang bedrückten.
Konzeption: Wolfgang Jacobsen, Dr. Ruth Preusse, Eric Friedler