DOK Premiere im Januar: TRACING LIGHT

Das Haus des Dokumentarfilms zeigt im Januar 2025 Thomas Riedelsheimers Dokumentarfilm TRACING LIGHT – DIE MAGIE DES LICHTS als DOK Premiere in Stuttgart, Ludwigsburg und Berlin.

Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!
1. Mose, 1,3 / Genesis

Lichtblicke

Ein Morgen wie jeder andere. Die Sonne geht auf. Erscheint zunächst wie ein blasser Fleck im Dunkel der schwindenden Nacht. Ein Mann duscht. Schon bricht sich das Licht im Glas der Fenster. Regenbogenfarben leuchten. Alltägliches lichtes Misterioso. Eine Miniatur, aufgenommen in ruhigen Einstellungen. Das Tageslicht ist das Führungslicht der Kamera. Das gilt für den Verlauf des Films.

Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.

Weite schottische Landschaft. Sattes Grün, doch rau. Der Wind pfeift. Aus dem Off ein bekenntnishafter Kommentar: „Filmemacher arbeiten mit Licht. Licht wird von uns eingefangen und schließlich als eine Geschichte auf eine Fläche projiziert. Ein kleines Loch in einem schwarzen Kasten reicht aus, um ein Bild darin entstehen zu lassen. Unsere Augen funktionieren im Prinzip genauso. In einem schwarzen Kasten aus einem kleinen Loch spielen also all unsere Geschichten. Für das Geheimnis jenseits des Kastens brauchen wir leidenschaftliche Forscher und die Freiheit der Fantasie.“

Lichtschöpfung

Die Bedeutung des Lichtes im und für das Leben der Menschen ist Wirklichkeit und Metapher zugleich. Licht tritt uns schon in der Schöpfungsgeschichte entgegen. Dort werden wir nach der Schaffung von Himmel und Erde auf das Licht als ersten Schöpfungsakt Gottes aufmerksam gemacht. Licht trennt das Chaos von göttlicher Ordnung, den Tag von der Nacht. Licht – das ist ein ‚Götterfunke‘. Und bannt auch das Gegenteil des Göttlichen in Luzifer, dem Lichtträger, der sich gegen Gott erhob. Doch jenseits seines nicht fassbaren, scheinbar unvorstellbaren Ursprungs als Naturphänomen und jenseits seiner tiefen religiösen Bedeutung in Juden- und Christentum und im Islam als Licht der Völker, der Erkenntnis und Wahrheit – Licht als künstliche Beleuchtung ist auch eine schnöde technische Errungenschaft. Es hat seinen Ursprung im Feuer, brennt aus einem archaischen Schein. Und das Licht hat eine ökonomische Geschichte, die erklärbar ist, greif- und sichtbar, und die über die Zeiten Wahrnehmung schlechthin verändert hat: Straßenlaternen, helle Bühnen und dunkle Zuschauerräume, Nachtleben, taghell ausgeleuchtet, glitzernd, flirrend und grell, Ordnungs- und Festbeleuchtung bis hin zur polizeilichen Inspektion und missbraucht durch Fackelzüge und Lichtdome im Nationalsozialismus. Wir leben in einer quasi weltumspannenden ‚ville lumière‘, die die Nacht zum Tag macht. Und Licht inkarniert ein philosophisches Rätsel – und ein physikalisches, das Riedelsheimer vor allem thematisiert. Überlappungen zum weltanschaulichen Lebensdunkel fluoreszieren.

Regie, Buch, Kamera & Schnitt: Thomas Riedelsheimer; Produzent:innen: Sonia Henrici, Leslie Hills, Thomas Riedelsheimer, Stefan Tolz; Produktion: Filmpunkt und Skyline Productions in Kooperation mit Skyline Productions und ZDF in Kooperation mit 3sat; Redaktion: Nicole Baum; Verleih: piffl medien; © 2025

Lichtspiele

Thomas Riedelsheimer sucht nach einer filmischen, besser: bildlichen Transkription des Phänomens Licht. Er verfolgt eine moderne Spur der Aufklärung. Montiert zwei parallele Handlungsstränge. Besucht Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts in Erlangen und der „Extreme Light Group“ der Universität Glasgow, lässt sie in ihrer eigenen, durchaus lebendigen Rhetorik und verstrickt in ihr wissenschaftliches Faszinosum das Phänomen Licht erklären. Es geht um Quantenmechanik, Photonen und um schwarze Löcher. Gleichsam von einer Lichtbildbühne aus lehren und unterweisen sie, streuen ihr fundamentales Wissen des Jetzt in sprachlichen Lichtbündeln. Sie liefern Abstrakta, versuchen sich an deren Übersetzung ins Allgemeinverständliche. So lebendig die Erzählungen auch sind, sie kleben im Theoretischen, eben Nicht-Gegenständlichen.

Riedelsheimer gönnt den erzählenden Erklärer:innen feste Einstellungen, zieht sich auf eine klassische dokumentarische Interviewkonstellation zurück. Die Verlebendigung des Abstrakten muss allein das Wort leisten. Das Licht der Kamera bleibt in diesen Situationen neutral, dramatisiert nicht, verhaftet in einer natürlichen Gesprächssituation. Bereinigt um alles Mythologische. Riedelsheimer vermeidet in seiner Kameraführung das spekulativ Spektakuläre. Er agiert als Wärter des Lichts.

Lichtkegel

Licht bleibt solange für unser Auge unsichtbar, erklären die Wissenschaftler:innen, bis es auf Materie trifft. Wo ist Licht? Welche Pfade geht es? Was wir sehen, ist schon verloren. Wir sehen zu spät. Führt der Weg ins Licht und zum Licht über das Dunkel? Wo liegt die Kante zwischen beidem? Der Rand oder die Schnittlinie zwischen zwei, als so gegensätzlich, farblich als weiß und schwarz, empfundenen Erscheinungen? Licht, so eine wissenschaftliche Erkenntnis, verändert sich, wenn es beobachtet wird. Licht reist, auch das ist belegbar, durch den menschlichen Schädel. Über die Ausbreitung von Licht, erläutern die Forscher:innen, verstehen wir erst die Ausbreitung von Raum und Zeit. In einem Hörsaal, gestaltet mit dunklen Hölzern, die ein warmes Licht schenken, ertastet die Kamera den Balken einer Bank, in den der Name ‚Odysseus‘ eingeritzt ist. Alle physikalischen Erklärungsmuster kommen an eine Grenze. An die Grenze zwischen Leben und Tod, hell und dunkel. Oder muss man es vice versa interpretieren?

Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
Albert Einstein

Lichtwerk

Auf einer zweiten Erzählebene nähert sich Riedelsheimer Künstler:innen, die mit Licht arbeiten, sei es technisch raffiniert aufbereitet – Farbpigmente und Laserstrahlen wollen leuchten und irisierend irritieren – oder mit sachlichem Kalkül inszeniert wie etwa von dem Künstlerduo Johannes Brunner und Raimund Ritz. ‚Black Hole Sun‘ nennen sie ihre klar berechnete, geradezu verwissenschaftliche skulpturale Interpretation des Lichts, die sie für das Max-Planck-Institut in Erlangen sich ausgedacht haben. Eine Kugel, deren eine Hälfte der Oberfläche in dichtes Weiß, die andere in extremes Schwarz getaucht ist. Durch die Rotation des Objekts gerieren sie „ein schwarzes Loch” in der Mitte des lichtdurchfluteten Foyers. Oder – ganz konträr, die künstlerischen Feuerinstallationen von Julie Brook, die in freier Landschaft aus Steinen Stonehenge ähnliche Skulpturen errichtet. Sie nennt sie ‚hut of shadow‘. Entzündet in ihnen ein Feuer, das durch ein Loch ins Außen dringt. Fahl, zart, verwunschen züngelnd. Man mag sich daran erinnern, dass das Feuer der Hölle kein Licht spendet, sondern in ewiger Finsternis verglüht. Brooks Kunst widerspricht und lässt aus dem kalten Dunkel einen sonnenhellen Feuerschein aufgehen

Lichtblitze

Das formulierte Ziel Riedelsheimers: Er will die Magie der Räume zwischen Physik und Kunst verständlich machen, ein filmisches Abbild dafür erschaffen. Unternimmt so etwas wie einen kinematographisch-experimentellen Schöpfungsakt. Er unterlegt seine Bilder mit einer dritten Ebene, der nichts Abbildbares anhaftet. Die Musik des Komponisten und Gitarristen Fred Frith und der Violinistin und Komponistin gabby fluke-mogul fügt sich ins Konzept, ordnet sich ein, gar unter, illustriert weitgehend, bleibt eigenständig – und doch – stockt in ihrem melodiösen Fluss und der gleichzeitigen Verweigerung eines solchen in einer nicht einlösbaren onomatopoetischen Übersetzung des sicht- und unsichtbaren Lichtes – schwirrt auditiv wie ein musikalischer Glühwürmchen-Pointillismus.

Als Kameramann vermeidet Riedelsheimer das Grelle, blendet nicht auf, sondern richtet sich ein in der Sättigung des natürlichen Lichts. Gerade in der Beobachtung der Brook’schen Feuerlichtkunstwelten wirkt die Kamera kontemplativ und friedvoll gebannt. Die Bilder leuchten in einem suggestiven Mattglanz.

Mit stärkstem Licht kann man die Welt auflösen. Vor schwachen Augen wird sie fest, vor noch schwächeren bekommt sie Fäuste, vor noch schwächeren wird sie schamhaft und zerschmettert den, der sie anzuschauen wagt.
Franz Kafka

Lichterloh

In einer letzten Szene treibt ein brennender Holzstoß, den Julie Brook geschichtet hat, in die offene See. Flackert lichterloh – ein Flammenschein, der die Nacht entwölkt, aufklärt und -heitert, bis er – Scheit um Scheit – in sich zerfällt, verglimmt. Erlischt.

Mehr Licht!? Oder: Mehr nicht?!

Goethe. So oder so.

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Picture of Wolfgang Jacobsen
Wolfgang Jacobsen, geboren 1953 in Lübeck, bis 2019 Leiter Forschung und Publikationen an der Deutschen Kinemathek. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur deutschen und internationalen Filmgeschichte. Arbeiten für Hörfunk und Fernsehen, schreibt über Film und Literatur. Lebt als freier Autor in Berlin.
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