Grimme-Preise 2017 an fünf Doku-Produktionen

Die Gewinner der diesjährigen Grimme-Preise stehen fest. Wie das Grimme-Institut in Marl am Mittwoch bekannt gab, gehen diese in der dokumentarischen Kategorie »Information und Kultur« an folgende fünf Produktionen: »Ebola – Das Virus überleben«, »Hundesoldaten«, »Schatten des Krieges«, »45 Min: Protokoll einer Abschiebung« und an Ashwin Raman für seine besondere journalistische Leistung bei den Produktionen »Im Nebel des Krieges – An den Frontlinien zum ‚Islamischen Staat´« und »An vorderster Front« (ZDF). Die Verleihung findet am 31. März in Marl statt.

Gewinner der Grimme-Preise bekannt gegeben

Der Adolf-Grimme-Preis gilt auch mehr als 50 Jahre nach seiner erstmaligen Vergabe als Gütesiegel für Qualitätsfern­sehen. Seit 1964 werden die Highlights des Fernsehjahres von unabhängigen Kommissionen und Jurys begutachtet und auf Qualitäten im Sinn formaler und inhaltlicher Vorbildhaftigkeit geprüft. Am Ende dieses Sichtungs- und Entscheidungsprozesses stehen dann – wie Heinrich Breloer es einmal formuliert hat – die jährlichen Ermahnungen aus Marl. Als Lob für das Vorbildliche.

Das Besondere am Grimme-Preis ist seine Unabhängigkeit: Die jeweiligen Nominierungskommissionen und Jurys sind frei in ihren Entscheidungen. Der Veranstalter hat selbst keine Stimme, moderiert den Diskussions- und Preisvergabeprozess und sorgt für die Einhaltung der im Statut vorgegebenen Wettbewerbsbedingungen. Als Leitfaden gilt: Mit einem Grimme-Preis werden Sendungen, Serien und Fernsehleistungen ausgezeichnet, die die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und die nach Inhalt oder Form Vorbild für die Fernsehleistung/Praxis sein können.

Für das Sendejahr 2016 hat die neunköpfige Jury Information & Kultur folgende Produktionen mit dem Grimme-Preis 2017 bedacht:

Ebola – Das Virus überleben

Der Grimme-Preis geht an Carl Gierstorfer für Buch und Regie sowie an Antje Boehmert als Produzentin (DOCDAYS Productions ). Der 55 Minuten lange Dokumentarfilm wurde am 12. Januar 2016 bei Arte erstgesendet. Die Redaktion hatte Bernd Seidl (Südwestrundfunk).

Zum Inhalt: Der Filmemacher Carl Gierstorfer reist im Herbst 2014 nach Libera. Dort grassiert eine Krankheit, die rasend schnell tötet, ganze Landstriche entvölkert. Für einige Wochen begleitet er Helfer und Patienten. Im Frühjahr 2015 erkranken immer weniger Liberianer an Ebola. Er kehrt für einen Monat zurück und dreht seine Geschichten zu Ende. Stanley, den Gierstorfer über Wochen begleitet, hat seinen Sohn, der infiziert war, in das Dorf gebracht, und mit dieser Entscheidung indirekt Leben gefährdet und ausgelöscht. Die Menschen trachten nach seinem Leben. Er flüchtet in die Hauptstadt Monrovia, wo er lethargisch seine Tage verbringt. Seine komplette Familie ist gestorben. Nur Stanley überlebte, hadert. Er entscheidet sich, in das Dorf zurückzukehren. Seine einzige Hoffnung, nicht von den Menschen des Dorfes getötet zu werden, ist ein Reverend. Der versucht, zwischen ihm und den wütenden Bürgern von Taylor Town zu vermitteln. Gierstorfer begleitet außerdem die Krankenschwester Mabel Musa, die trotz ihrer Angst vor dem Erreger jeden Tag gegen die Epidemie kämpft.

Aus der Begründung der Jury: »Carl Gierstorfer erzählt die Geschichte ausschließlich aus Sicht der Menschen, die direkt und existenziell durch das Virus betroffen sind. Seine Bilder der Trauer und des Schmerzes sind nie voyeuristisch, sondern eingebettet in eine stringente, würdige Beschreibung eines gesellschaftlichen Alptraums. Sie sind nah, direkt und folgen den Emotionen der Menschen.«

Hundesoldaten

Der Grimme-Preis geht an Lena Leonhardt (Buch/Regie). Produziert wurde der Film von OnScreen Media (Peter Kuczinski) mit dem SWR und der Filmakademie Baden-Württemberg. Gefördert wurde er von der MFG Filmförderung Baden-Württemberg. Die Erstsendung war im Rahmen der SWR-Dokureihe »Junger Dokumentarfilm« am 23. November 2016 im Südwestrundfunk. Die Redaktion hatte Gudrun Hanke-El Ghomri (SWR) inne.Der Film war Teil der 16. Staffel »Junger Dokumentarfilm und wurde am 23. November im SWR-Abendprogramm ausgestrahlt. Rund eine Woche vor der Erstausstrahlung im Fernsehen präsentierten damals das Haus des Dokumentarfilms und Kinokult im Ludwigsburger Kino Caligari den an der Filmakademie Baden-Württemberg entstandenen Dokumentarfilm. Der Film lief davor bei DOK Leipzig. Ausgangspunkt zu dem Film war ein Zeitungsartikel über die Bundeswehrhundeschule, auf den Lena Leonhardt bei ihrer Suche nach einem Thema für ihren Abschlussfilm stieß. Sie wollte wieder etwas zum Verhältnis von Mensch und Tier drehen. Bei der Bundeswehr gibt es eine eigene Hundeschule. Hunde, die schon als Welpen an Gewehrfeuer gewöhnt werden, lernen wie eine Waffe zu agieren. Soldaten lernen, diese zu bedienen. Lena Leonhardt war Beobachterin dieses Prozesses: Von der Geburt eines Wurfes bis zum ersten Einsatz begleitete sie die Hunde und die Menschen mit ihrer Kamera.
Aus der Begründung der Jury: »…intelligentes, auch heiteres dokumentarisches Fernsehen, das Erlebnisräume öffnet, Deutungen anbietet, den Zuschauer aber in keiner Sekunde bevormundet. Auch bei Autorin Leonhardt ist der Hund letztlich nur Mittel zum Zweck: um in die Seele der Herrchen und ins Innere der Bundeswehr zu schauen. Die Leichtigkeit, mit der ihr dies gelingt, hat die Jury tief beeindruckt.«

Schatten des Krieges

Der Grimme-Preis geht an Artem Demenok (Buch/Regie) und Andreas Christoph Schmidt (Buch/Regie) für die zweiteilige Fernsehdokumentation, die im Mai und Juni 2016 im Ersten ihre Erstsendung hatte. Produziert wurden die je 45 Minuten langen Sendungen von Schmidt & Paetzel Fernsehfilme mit dem rbb und dem NDR.
Zum Inhalt: Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. 75 Jahre später beleuchten Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt im Zweiteiler „Schatten des Krieges“ die russische Sicht auf die nachfolgenden Kriegsjahre.

Aus der Begründung der Jury: »Beide Filme kommen ohne Effekthascherei aus, Gesagtes und Gezeigtes stehen für sich und entfalteten so ihre Wirkung. Dazu trägt auch die gut ausgewählte Musik bei – im ersten Teil von Alva Noto und Ryuichi Sakamoto, im zweiten von Arvo Pärt. So gelingt ihnen mit „Schatten des Krieges“ Geschichtsfernsehen, wie es sein sollte: gründlich recherchiert, gut aufgearbeitet, aufrüttelnd. «

45 Min: Protokoll einer Abschiebung

Der Grimme-Preis geht an Hauke Wendler (Buch/Regie). Der Film wurde von Pier 53 Filmproduktion für das NDR-Dokuformat »45 Min« produziert und hatte am 1. August 2016 im NDR seine Erstsendung. Die Redaktion hatte Barbara Denz (NDR).

Zum Inhalt: »Jeder Asylbewerber sollte aus diesen Bildern lernen«, ist einer der zahlreichen und eher hilflosen Sätze, die hier von einem Politiker zu Protokoll gegeben werden. Nach 45 Minuten hat vor allem der Zuschauer viel dazugelernt. »Zuführkommando«, »Sammelabschiebung«, »Abschiebemappe« – die Sprachregelung allein lässt Zweifel an einem Verfahren aufkommen, das Erwachsene, Jugendliche und Kinder gleichermaßen, meist in humanitären Notlagen, trifft. Diese Fernsehreportage zeichnet umfassend Bilder von einer Rückführungsaktion auf. Dem Fernsehteam um den Filmemacher Hauke Wendler gelang es, bei der bisher umfangreichsten Abschiebeaktion in Norddeutschland dabei zu sein und zu filmen, wie Menschen zwischen drei und sieben Uhr morgens aus ihren Wohnungen abgeholt werden.
Aus der Begründung der Jury: »Wendler kommt ohne Dramatisierung im Text oder durch andere affektive Mittel aus. Seine große Stärke: Er belässt es nicht bei der Beobachtung der Abschiebung, sondern bleibt bei den Betroffenen über den Rückflug hinaus. Er besucht beide Familien in Albanien und gibt den Eltern und Kindern den Raum, von sich und ihrer aussichtslosen Lage zu erzählen. Nachhaltig erschüttert die Tatsache, dass derjenige, der einmal abgeschoben wurde, Deutschland erst wieder bereisen darf, wenn er selbst die Kosten für das Verfahren bezahlt hat.«

Ashwin Raman

Der Grimme-Preis geht an Ashwin Raman für seine besondere journalistische Leistung bei den Produktionen »Im Nebel des Krieges – An den Frontlinien zum ‚Islamischen Staat´« (SWR) und »An vorderster Front« (ZDF).
Für »Im Nebel des Krieges« reiste Ashwin Raman an verschiedene Orte im Grenzgebiet zwischen Syrien, Irak, Kurdistan. Während der sechswöchigen Reise im Sommer 2015 sprach er mit zahlreichen Protagonisten, die gegen den IS kämpfen oder Stellung beziehen. Auf seiner zweiten Reise im Jahr 2016 für den Film »An vorderster Front« bewegte sich Raman konkret entlang der Frontlinie der kurdischen Peschmerga im Irak. Peschmerga und irakische Armee bereiteten zu der Zeit den Angriff auf Mossul vor.

Aus der Begründung der Jury: »Ashwin Raman ist ein Reporter ganz besonderer Art. Wie schon in seinen früheren Filmen macht er sich ganz allein auf den Weg in Kriegsgebiete, ohne Kameramann, ohne Team, ohne Stringer. Er will zeigen, wie der Krieg sich anfühlt, wie die Menschen darin leben und was wir darüber wissen sollten. Ashwin Raman besitzt offenbar die besondere Fähigkeit, sich in Situationen einzuleben und mit den Menschen in Kontakt zu treten. Er vertraut auf den Zufall und er fordert den Zufall heraus. Dabei tritt er niemals in die Rolle eines „embedded journalist“ ein. Selbst dort, wo er mit den Kämpfern der Peschmerga lebt, mit ihnen isst, in ihren Unterständen schläft, hält er die notwendige Distanz und drückt diese Haltung in der Montage oder in einer ironischen Wendung im Text aus.«