In »We Feed The World«, seinem 2005 mit großem internationalen Erfolg veröffentlichten und bis heute gültigen Film über Nahrungsproduktion und den Wert von Nahrungsmitteln, gelingt es Erwin Wagenhofer, den monströsen Unterschied zwischen Überfluss auf der einen Seite und absoluten Mangel auf der anderen in packenden, entlarvenden und schockierenden Filmbildern festzuhalten.
Der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer ist ein Beobachter, ein Hinschauer. Wenn er mit seiner Kamera – am besten allein oder zu zweit – durch die Welt zieht, dann entstehen Dokumentarfilme, die wie ein Nervensystem arbeiten. Szenen, Interviews, Momentaufnahmen wirken wie Synapsen in einem komplexen System, die im richtigen Moment mit elektrischer Energie verbunden werden. So vereinen sich die Einzelteile zu einem selbsterklärenden Organismus. In »We Feed The World«, seinem 2005 mit großem internationalen Erfolg veröffentlichten und bis heute gültigen Film über Nahrungsproduktion und den Wert von Nahrungsmitteln, gelingt es Wagenhofer, den monströsen Unterschied zwischen Überfluss auf der einen Seite und absoluten Mangel auf der anderen in Filmbildern festzuhalten, die sich tief ins Gedächtnis einbrennen. Wagenhofer macht es auch dem Zuschauer nicht bequem: er will erklären, wo die Probleme liegen, eine Lösung liefert er nicht.
Zu Beginn des Filmes sehen wir eine Fahrt über volle Getreidefelder. Es ist ein Moment, der die Keimzelle der menschlichen Zivilisation beschreibt. Denn mit dem Getreideanbau wurden die Nomaden zu Siedlern und Bauern. Mit dem Auftakt der landwirtschaftlichen Produktion von Lebensmitteln war der Anfang einer langen Entwicklung gegeben. Das Land ernährte den Menschen. Aus Erde wurde Brot. Eine Ordnung, die Grundlage unseres Leben war und ist.
Doch schon einige Sekunden später zeigt uns Wagenhofer, dass nicht im Staate Österreich, wo diese Aufnahmen entstanden, etwas in Unordnung geraten ist. Ein Lastwagen fährt durch die nächtlichen Straßen. Er ist voll beladen mit Backwaren. Das Brot, die Brötchen, das Süßgebäck landet kurz darauf in einer großen Halle auf dem Boden wie Müll. Eine der wenigen Texttafeln, die der Film braucht – Wagenhofer kommt sonst ganz ohne Off-Kommentar aus -, erklärt, dass täglich in Wien so viel Brot weggeworfen wird, um damit die Stadt Graz zu ernähren.
Wozu, fragt man sich schon in diesen ersten Minuten von »We Feed the World«, wird das Brot überhaupt gebacken. Und warum wird das Getreide, das in mühevoller Arbeit gesät, geerntet und verarbeitet wurde, am Ende zu Müll? Aber Wagenhofer ist schon auf der nächsten Spur. Auf seiner Reise rund um die Erde hat er viele spannende Gesprächspartner und erschreckende Themen gefunden: Soja-Bauern im Amazonasgebiet beispielsweise, hungernde Kleinbauern in Brasilien, den EU-Sonderbeobachter Jean Ziegler, der drastische Worte fürs Nichtstun findet, oder auch den Nestlé-Vorstand Peter Brabeck, der in seltener Offenheit erklärt, wieso Wasser in der schönen, neuen Welt nicht mehr ein kostenloser Rohstoff für alle sein sollte.
Es sind drastische Szenen, die er präsentiert. Die lange Sequenz über das kurze Leben der Masthähnchen vom Ei bis zum Schlachthof ist ein Film im Film, der vielen Zuschauern die Lust am Huhn – und nicht nur das – verderben kann. Der minutenlang gezeigte Prozess des Schlachtens bis hin zum Zerhacken des Körpers ist genauso grausam, wie er in Wirklichkeit ist. Wagenhofer bietet sich auch hier nicht als Erklärer an, schon gleich gar nicht als Zeigefingeronkel. Er zeigt die Situationen und montiert sie geschickt – auf eine Belehrung verzichtet er.
Die beiden wichtigsten Hauptfiguren des Filmes sind Jean Ziegler und Peter Brabeck. Zieglers stellenweise plakative Anklagen (»Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet«) nutzt der Film als Kommentar ohne eigene Worte. Die Rechtfertigungsrhetorik des Nestlé-Chefs Brabeck wiederum entlässt uns aus 96 intensiven Minuten in eine Welt, in der es so viel gibt, aber viele so wenig haben.
Aus der Sicht zehn Jahre nach Veröffentlichung dieses Filmes fehlen dem Gesamtwerk vielleicht einzelne Aspekte. Sie wurden inzwischen geschlossen von Filmen wie »Taste the Waste« und »10 Milliarden« (beide von Valentin Thurn) oder »Der Mais-Wahn« (von Tilman Achtnich, TV-Doku). Man muss Wagenhofer allerdings anrechnen, dass er das Thema Globalisierung und Welternährung in einen Film gepackt hat, der auch heute noch in vielen Aussagen und Aussichten erschreckend real und glaubwürdig ist.
»Der Hunger ist das Problem unserer Zeit« heißt es in »We Feed The World« an einer Stelle. Dieses Problem bleibt ungelöst und es sind schon wieder mehr als zehn Jahre vergangen.