TV-Tipp 10.10.: Keine Ruhe für Uwe Barschel
Es beginnt mit einer Warnung: »Dieser Film ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm«, heißt es zu Beginn von Kilian Riedhofs »Der Fall Barschel« (am Dienstagabend als Wiederholung bei 3sat). Die zweite Warnung erfolgt auf der gleichen Texttafel: »Die Antworten dieses Spielfilms basieren auf plausiblen Thesen und Indizien, nicht auf Beweisen«. Seien wir also gewarnt. Im Anschluss zeigt 3sat dann noch die 30 dokumentarischen Extraminuten unter dem Titel »Barschel – Das Rätsel« von Stephan Lamby und Patrik Baab.
3sat, 20:15 und 22.35 Uhr: Der Fall Barschel (TV-Film, 2-tlg.)
3sat, 23:55 Uhr: Barschel – Das Rätsel (Kurz-Dokumentation)
Was der Fernsehfilm über den Tod des deutschen Politikers vor 20 Jahren in 175 (!) Minuten zeigt, ist eine clevere, geradezu grandiose Montage von Thesen und Vermutungen, von Lügen und Ehrenworten, von Bildern und ihren Manipulationen, von Verdachtsmomenten und Hypothesen. Aber wahr im Sinne von beweisbar? Wahr ist dieser Film nicht. Er kann es nicht, er muss es nicht sein. Er ist ein Indizienfilm, der sich nach – man muss es schreiben – unterhaltsamen drei Stunden auf eine Seite schlägt.
Es ist ein gewagtes Experiment, das der produzierende NDR vor zwei Jahre eingegangen war: Die Wahrheit im größten bundesdeutsche Politskandal der letzten drei Jahrzehnte in einer Fiktionalisierung zu suchen, die im Anschluss nach fast drei Stunden durch eine 30 Minuten kurze Nachdoku »Barschel – Das Rätsel« geerdet werden soll.
Zunächst einmal ist »Der Fall Barschel« eine dichte, spannende Filmerzählung. Sie folgt den drei (fiktiven) Journalisten David Burger (Alexander Fehling), Olaf Nissen (Fabian Hinrichs) und Walter Brauneck (Edgar Selge), die sich als Jäger von Uwe Barschel (Matthias Matschke) und seinem zwielichtigen Referenten Reiner Pfeiffer (Martin Brambach) betätigen und von dieser Geschichte einfach nicht mehr loskommen. Nach nur 25 Minuten liegt der tote Barschel in der Genfer Badewanne. Dann beginnt der eigentliche Fall, der eigentliche Film – und zugleich verlässt er das Feld der gesicherten Erkenntnisse.
Matthias Matschke, der für diese Rolle den Ehrenwort-Lügner Uwe Barschel bis zur Sprachmelodie imitieren gelernt hat, hat diese Wende im Film gekonnt aus der Sicht des Interpretierenden beschrieben: »Dann beginnt das, was ich normalerweise als Schauspieler mache.«
Auch filmästhetisch werden die Realitätsebenen verwischt. Es gibt Szenen, in denen fiktive Szenen für Sekundenbruchteile mit dokumentarischen Schnipseln »veredelt« wurden. Als Barschel sitzt Darsteller Matschke einmal dem echten Engholm in einer wirklich stattgefundenen Talkshow gegenüber. Für den beiläufigen Zuschauerblick sind solche Manipulationen kaum wahrnehmbar.
Man könnte es auch so sagen: Der Film wird mit jeder Minute spannender, aber der Boden, auf dem die Geschichte voranschreitet, mit jedem Meter unsicherer. Die stringente Nacherzählung des ersten Fünftels wird nachfolgend zudem von emotionalen Nebengeschichten um die Hauptfiguren ergänzt. Journalist Burger kann vom Rätsel um Barschels Tod nicht mehr lassen und die ganze Mischung aus Verdacht und Misstrauen, die diesen Fall zu einem Drama hat werden lassen, ist in seiner zunehmend paranoiden Versessenheit verdichtet.
Die Beweise lösen sich auf –
der Verdacht bleibt
Das sind die Regeln des Spielfilms, um die Zuschauer bei Laune zu halten – aber es sind auch die Fallen für die Geschichte. Nach zwei Stunden und noch 50 Minuten zu gehen, haben selbst die ambitioniertesten Barschel-Hobbydetektive, die den Fall in- und auswendig kennen, verlernt, zwischen Realität und Fiktion, zwischen Beweisen und Indizien zu unterscheiden. Bei 2 Stunden und 20 Minuten hat Journalist Burger ein Band in den Händen, das den Mord zu beweisen scheint. Wäre »Der Fall Barschel« ein »Tatort«, dann wären es jetzt noch fünf Minuten bis zum Abspann. Aber damit ist die Geschichte nicht am Ende. Weitere 30 Minuten nutzt Regisseur Riedhof, um die These der illegalen Waffengeschäfte zu entrollen.
Aber auch diese Beweise lösen sich bald schon wieder in Luft auf. Das müssen sie ja auch.
Denn in Wirklichkeit gibt es diese Beweise nicht. In der ersten Hälfte der 175 Minuten fällt fast nebenbei ein Satz, der im Gedächtnis bleibt: »Manchmal braucht es Fantasie, um die Wahrheit zu sehen«, sagt Journalist Burger im Streit darüber, ob Barschels Tod Selbstmord oder Mord war. In einem großartigen Monolog, den Edgar Selge spricht, wird dieser Satz ganz am Ende zur Kernaussage.
Der Film geht den einzigen Weg, um den ungeklärten Fall Barschel zu lösen. Er schlägt sich auf die Seite der Fantasie. In der Fantasie ist alles vorstellbar, so unvorstellbar es auch gewesen ist.
Mit einem Dokumentarfilm hat das wenig zu tun. Aber möglicherweise mit der Wahrheit.