»Einfach loslassen«

Einer macht einen Kopfstand, ein anderer geht im Park über eine Slagline, der nächste lässt sich Wasser über die Hand laufen. »Einfach loslassen« ist der dritte Beitrag der diesjährigen Staffel Junger Dokumentarfilm im Südwestrundfunk. Und es ist der bisher persönlichste. Zu sehen gibt es Selbstverwirklichungsbilder mit Selbstreflektionstexten, aber auch eine Suche, die zum Ziel führt. Wer mitgeht, entdeckt einen Film, der zum Durchatmen einlädt.

Schon nach wenigen Sekunden wird klar, dass Amon Barth, Student der Filmakademie Baden-Württemberg und Regisseur dieses Dokumentarfilms, aus der Ich-Perspektive erzählen wird. Das ist – sowohl im Journalismus, aber auch im Dokumentarfilm – das vielleicht schwierigste Format. Sich selbst als Protagonisten zu nehmen, gelingt in den seltensten Fällen. Das seit einiger Zeit schicke Format droht immer in die Belanglosigkeit zu führen, hat aber auch einige gelungene Filme hervorgebracht; beispielsweise David Sievekings »Vergissmeinnicht« oder auch »Nowa Amerika« von Kristof Kannegiesser, dem erst vor einer Woche gesendeten zweiten Film der 17. Staffel Junger Dokumentarfilm.


Einfach loslassen (SWR Mediathek)

(Videos laut Sender abrufbar bis 25. Oktober 2017)

Wohin also führt Amon Barths Reise zum eigenen Ich? Sie führt zunächst in die eigene Wohnung, wo er sich über sein verstaubtes Meditationskissen ärgert und über viel zu viele Dinge staunt, die sich in seinem 31-jährigen Leben bereits angesammt haben. Ausmisten will er – und scheitert umgehend. Wie trennt man sich von Unnützem. Und reicht es, einfach nur alte Dinge zum Recyclinghof zu fahren? Den inneren Ballast wird er so nicht los.

Im weiteren Verlauf – das Team um Amon Barth geht auf Reise – führt uns der Film zu einigen »Loslassern«. Zu Amon Barths Mutter zum Beispiel, die zunächst einfach nur ihren Dachboden aufräumen will. Oder zu Hans Peter Brunner, der seinen Himmel auf Erden baut: ein acht Quadratmeter großes Häuschen auf Rädern. Ein Künstler, der vom Nichtshaben träumt. Zen-Mönche, die auf die Frage nach dem Nichts mit »Noch mehr üben« antworten. Stationen auf dem Weg – der in Wirklickeit nicht der von Amon Barth ist.

Das Loslassen ist kein einziger Moment, sondern ein Prozess. Wohin der Film auch schaut, es tun sich neue Probleme auf. Das Haus auf Rädern will auch nach zwei Jahren nicht fertig werden. Immer wieder findet sein Erbauer etwas, was er daran noch besser machen kann. Und die Mutter entdeckt – das kennt wohl jeder – so viele schöne Dinge aus ihrem Leben, die sie einfach nicht wegwerfen kann.

Bemerkenswert ist die herausragende Kamera (Jonathan Young), die wunderbare Bilder und starke Momente findet. Klug und empathisch werden sie als kleine Inseln und gedankliche Stolpersteine montiert (Kirsten Kieninger). Eine sehr zurückhaltende, warme Musik gibt dem Ganzen einen Rahmen, der immer weiter zum Dranbleiben einlädt.

Auch der Erzähler kann mit seiner Ich-Sicht überzeugen. Es gelingt ihm, die Erzählweise weg von der rein plakativen Geste hin zur Darstellung eines innneren Prozesses zu formen. Letztlich hinterlässt »Einfach loslassen« eine Stimmung, die irgendwo zwischen tiefer Entspannung und Lust aufs Anpacken liegt. »Es geht um das Ich«, sagt der Autor an einer Stelle. Es ist beachtlich – zumal für einen Hochschulfilm –, wie er es schafft, von »seinem Ich« zu erzählen, aber mich auf »mein Ich« zu bringen.