In seinem neuen Dokumentarfilm „Dear Future Children“ hat sich der junge Filmemacher Franz Böhm, zusammen mit seinem internationalen Team, mit drei verschiedenen Formen des jungen Aktivismus auseinandergesetzt. – Wie sie zu dem Thema und den Protagonistinnen gekommen sind, welche Fragen sie an den Aktivismus stellen und inwiefern der Film bei der Auswertung von der Interaktion mit den Zuschauenden lebt – Über dies und mehr hat der Nachwuchsregisseur im Interview mit Annika Weißhaar vom Haus des Dokumentarfilms gesprochen.
Wenn du euer dokumentarisches Filmprojekt in einem Satz beschreiben müsstest, welcher wäre das?
„Dear Future Children“ erforscht den Einfluss und die Auswirkungen von Aktivismus auf das Leben unserer drei jungen Protagonistinnen: Pepper aus Hongkong, Rayen aus Chile und Hilda aus Uganda.
Mit „erforschen“ hast du ein Stichwort genannt, das ich später nochmal aufgreifen möchte. Aber vorerst: Was hat euch zur Idee und den Akteur*innen des Filmprojektes geführt?
Zunächst fand ich das Phänomen von jungem Aktivismus und Widerstand schon immer hochinteressant. Anfang 2019 habe ich gemerkt, dass wir uns in einer Hochzeit des jungen politischen Aktivismus befinden. Deshalb habe ich begonnen, intensiv zum Thema und zu aktuellen Bewegungen zu recherchieren. Die jungen Menschen arbeiten gegen deutlich mächtigere Kontrahenten und haben weniger Ressourcen zur Verfügung. Darüber wollte ich unbedingt mehr lernen und erfahren.
Und wie seid ihr zu den Aktivistinnen gekommen?
Die Protagonistinnen sollten mit Vollblut dabei sein. Gleichzeitig wollten wir einen Querschnitt durch die Bewegungen. Wir haben mit tollen Filmschaffenden, Aktivist*innen, Journalist*innen und NGOs zusammengearbeitet, um passende Kontakte herzustellen. Gerade in Hongkong war es eine sehr große Herausforderung jemanden zu finden, der sich von der Kamera begleiten lässt, da das mit großer persönlicher Gefahr einhergeht. Wir haben alle Kandidat*innen bei langen Gesprächen kennengelernt. Dabei haben wir ihnen genau erklärt, was wir vorhaben – ohne etwas vorzuenthalten. Mit den Protagonistinnen waren wir auch gemeinsam bei einem Protest oder einer Demonstration und haben uns danach oft bis in die Nacht unterhalten und so sehr gut kennengelernt.
Für den Dokumentarfilm „Dear Future Children“ waren euch die Vielfalt und verschiedene Perspektiven sehr wichtig. Gibt es etwas, das die Akteurinnen verbindet?
Alle drei Protagonistinnen verbindet der Kampf für die Zukunft und für die zukünftigen Generationen, für ihre Kinder. „Dear Future Children“ ist ein Zitat von Hilda, unserer ugandischen Protagonistin aus dem Film.
Was reizt dich am Dokumentarischen?
Der Dokumentarfilm war für unser Thema genau das richtige Medium. Mit einer klugen Vorgehensweise und dem richtigen Respekt wollten wir mit diesem Film in die Leben der Protagonistinnen eintauchen. Wir möchten den Zuschauenden ein Gefühl dafür geben, wie es ist, an den Frontlines in Chile oder Hongkong zu sein. Gleichzeitig spürt man im Film auch, wie schwer und Kräfte zehrend der Klimaaktivismus in Uganda ist – mit brutalen Auswirkungen auf die Menschen selbst. Wir wollten Nähe und den Geschichten genug Raum geben, deswegen die Spielfilmlänge und das dokumentarische Format.
Dann kommen wir zum aktuellen Stand eures Projekts.
Wir haben die Postproduktion abgeschlossen und arbeiten gerade für die Trailer-Erstellung mit Intermission Film aus London zusammen. Zudem sind wir unglaublich froh, mit MAGNETFILM einen starken Partner als Weltvertrieb gefunden zu haben. Und wir freuen uns, mit dem fantastischen Camino Filmverleih aus Stuttgart eine Kino-Auswertung sowie gemeinsam mit allen Partnern eine Festivalauswertung für nächstes Jahr zu planen.
Welche Rolle soll der Film bei der Auswertung einnehmen?
Unser Ziel ist es, mit dem Film einen Gesprächsbeitrag zur allgemeinen Debatte über Aktivismus zu leisten. Neben der Kino-Tour haben wir deshalb viele Special-Screenings geplant, mit Hochschulen, Universitäten oder Schulen. Sie werden begleitet von Q&As oder Paneldiskussionen mit Politiker*innen und Entscheidungstragenden. „Dear Future Children“ ist ein Film, der von der Interaktion und den Gesprächen mit den Zuschauenden lebt.
Du hast in deinem ersten Satz angesprochen, dass du „erforschen“ möchtest. Würdest du den Film auch als eine Art Forschung beschreiben?
Das finde ich ein bisschen schwierig. Ich würde sagen, wir betrachten die heutigen Auswirkungen moderner Protestbewegungen auf das Leben junger Aktivist*innen. Dazu zählen Fragen wie: Was heißt es heutzutage Aktivist*in zu sein? Welchen Herausforderungen muss man sich stellen? Vor allem, wie muss man sein eigenes Leben verändern, um den Aktivismus aufrecht zu erhalten? Wie weit geht man hierbei, was muss man opfern? Das sieht man vor allem in Hongkong. Welche drastischen Einschränkungen der Freiheit muss man dafür in Kauf nehmen? Was passiert mit Protestbewegungen, die scheitern?
Habt ihr thematisch, also in Bezug auf jungen politischen Aktivismus, etwas für euch mitgenommen?
Wir haben gelernt, dass sich Protest und Aktivismus schon längst als sehr direkte Formen der Politikteilhabe etabliert haben. Aber auch, dass sie inzwischen vor allem von jungen Menschen extrem effizient und schnell initiiert werden. Unsere Generation nutzt alle Mittel der sozialen Medien und moderne Strategien – beides verbunden mit einem globalen Ansatz. Noch eine weitere, lehrreiche Erfahrung war, dass wir nach der Veröffentlichung unserer Crowdfunding Kampagne massiven Gegenwind bekommen haben. Das ging von Drohungen und Briefen bis hin zu Hackerangriffen. Sich dem entgegenzustellen, war etwas, das uns sicherlich beim nächsten Projekt noch begleiten wird, aber es war eine gute Übung.
Du hast gerade die Finanzierungskampagne angesprochen. Warum habt ihr euch dafür entschieden und welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
Das Crowdfunding hat es uns ermöglicht, schon früh mit zukünftigen Zuschauenden zusammenzuarbeiten und diese am Entwicklungs- und Produktionsprozess teilhaben zu lassen. Es war auch gegenüber potentiellen Partnern eine tolle Repräsentation. Auch deshalb haben wir deutlich mehr gesammelt als wir uns ursprünglich zum Ziel gesetzt hatten. Es ist eine sehr schnelle und vor allem unabhängige Finanzierungsmöglichkeit.
Du hast mit „Christmas Wishes“ bereits einen kürzeren Dokumentarfilm produziert. Jetzt hast du einen längeren Film begleitet, mitproduziert und Regie geführt. Mit welchen drei Schlagworten würdest du deine Arbeitsweise als Dokumentarfilmer beschreiben?
Ich würde sagen Teamarbeit, Ausdauer und Vertrauen. Letzteres meine ich in Bezug auf unsere Protagonistinnen, denn das Vertrauensverhältnis ist nicht zu unterschätzen und muss von Anfang an gepflegt werden.
Zum Schluss: Du hast schon anklingen lassen, dass du mit deinem Team weiterarbeiten möchtest und bereits ein neues Projekt auf dem Plan steht. Wie sieht es aus in der Zukunft?
Für unser nächstes Projekt, das wir gerade in der ganz frühen Entwicklung haben, brauchen wir wieder ein sehr engagiertes Team. Viele der talentierten Filmschaffenden aus unserem aktuellen Team werden wir auch mitnehmen. Gehen wird es um eine Geschichte mit sehr viel Mut, Pioniergeist und großen Konflikten.