»Der Anständige«
Vanessa Lapas Dokumentarfilm »Der Anständige« versucht, wie kaum ein Film zuvor, die Facetten eines NS-Massenmörders zu ergründen. Die israelische Filmautorin lässt Heinrich Himmler durch seine eigenen Briefe und Aufzeichungen sprechen: der treusorgende Familienvater und der gnadenlose Massenmörder – das waren ein und derselbe Mensch. Bis 13.Januar 2018 ist der Film in der Arte-Mediathek zu sehen.
Am 6. Mai 1945 besetzen Soldaten der US-Armee das Haus der Familie Himmler in Gmund am Tegernsee, dort finden sie hunderte privater Briefe, Dokumente, Tagebücher und Fotos. Vieles aus dieser privaten Sammlung von Heinrich Himmler bleibt bis in die 80er Jahre hinein verschollen. Etliche Unterlagen des ehemaligen SS-Reichsführers gelangten auch nach Tel Aviv, wo sie unter dem Bett des israelischen Künstlers Chaim Rosenthal lagerten. 2007 schließlich kommt die israelische Fernseh-Journalistin Vanessa Lapa in den Besitz von Rosenthals Material und macht daraus den Dokumentarfilm »Der Anständige«, der nach einem jahrelangen Rechercheprozess bei der Berlinale 2014 uraufgeführt wurde.
»Der Anständige« (Arte-Mediathek)
(Video laut Sender abrufbar bis 13. Januar 2018)
Der Film zeigt die Facetten des obszönen Massenmörders Heinrich Himmler, einem der einflussreichsten Männer unter Hitler. Der »Architekt des Holocaust« war verantwortlich für die Entwicklung und Durchführung der Ideen, die zum Mord an Millionen Juden, Homosexuellen, Kommunisten, Sinti und Roma beitrugen. Eben wegen ihrer Herkunft und als Nachkomme der Holocaust-Überlebenden sieht die Filmemacherin Lapa ihre Aufgabe darin, die Dokumente in eine Art Psychogramm über das perverse Denken eines ranghohen NSDAP-Mitglieds umzusetzen und zu veröffentlichen, dieses zu skizzieren und seine Ideale, grausamen Pläne und geheimsten Gedanken offen zu legen.
Dazu nutzt sie die privaten Unterlagen, zeigt Fotos und Filme und unterlegt alles ausschließlich mit Zitaten, die Himmler, seine Frau, die Kinder und der Geliebten des NS-Verbrechers hinterlassen haben. Was »Der Anständige« von den meisten Dokumentationen über das Dritte Reich ebenfalls unterscheidet, ist der völlige Verzicht auf einen externen Kommentar, der das Gesehene für den Zuschauer einordnet.
»Anständigkeit«, sagt Vanessa Lapa, »war Himmlers Motto und das Wichtigste für ihn.« Er predigte auch seinen Soldaten und seinen Kindern, anständig zu sprechen, anständig zu essen, sich anständig zu verhalten. Und er suchte »nach einem anständigen Weg« zu töten. Im Film wird aus einem Poesiealbum von 1941 zitiert: »Man muss im Leben immer anständig und tapfer sein und gütig.” (Heinrich Himmler an seine Tochter)
Die privaten Briefe Himmlers an seine Frau erklären die Gedankenwelt und das Selbstverständnis des selbstgerechten Bürokraten, der zum Massenmörder wurde. Die Briefe zeigen seine Kälte, seine Besessenheit. Und sie zeigen, dass es sich bei Himmler keineswegs um eine gespaltene Persönlichkeit handelte. Der treusorgende Familienvater und der gnadenlose Massenmörder – das waren ein und derselbe Mensch.
Durch diese Einsicht in das Innere Himmlers ist es Lapa gelungen, mit faktischen und existierenden Originalzitaten ihre Dokumentation aufzubauen und somit den Zuschauer vor vollendete Tatsachen stellen zu können. Auf der 64. Berlinale feierte dieser Film seine Premiere und wurde anschließend auf viele weiteren Festivals eingeladen. Gut 17 Minuten Filmmaterial stammten übrigens aus dem Archiv der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg (Haus des Dokumentarfilms).
Dokumentarfilm
A/ISR 2014, 90 Minuten
Regie: Vanessa Lapa
Produktion: Medienwerkstatt Wien / Realworks
Originaltitel: The Decent One
(Evelyn Hettmann)