Das dokumentarische Auge: Erinnerungen an Willy »Justus« Pankau
Der Mann in gelb. Das Auge des Dokumentarfilms. Der Mann mit der Kamera. Willy »Justus« Pankau war eine Art Urgestein der Stuttgarter Film- und Medienszene. Er war unübersehbar – Signalfarbe: gelb – und eigentlich von keinem filmischen Ereignis wegdenkbar. Viele Jahrzehnte war er aktiv – sowohl als Kameramann in der Dokumentarabteilung beim Süddeutschen Rundfunk als auch als Dozent an der Filmakademie Baden-Württemberg und an anderen Filmhochschulen. Zu seinem Tod mit knapp 94 Jahren am 18. November 2017 haben wir einige Erinnerungen an ihn gesammelt, die sein Leben und die Geschichte des Hauses des Dokumentarfilms über Jahrzehnte hinweg verbunden haben.
Justus Pankau (rechts) im Gespräch mit Kay Hoffmann © HDF / Thomas Schneider
Er war einer der wichtigsten Kameramänner des bundesdeutschen Dokumentarfilms
Willy »Justus« Pankau war oft zu Gast beim Haus des Dokumentarfilms und bei dessen Veranstaltungen. Beim dokumentarischen Branchentreff Dokville war er Jahr für Jahr Stammgast – und immer als Kommentargeber oder gar als Podiumsgast gern gesehen. Auch bei Tagungen des Stuttgarter Filminstituts war er oft eingeladen – zum Beispiel im Jahr 2000 über die »Rhetorik der frühen Fernseh-Reportage«. Im Jahre 2011 unterhielt er sich mit Kay Hoffmann, Studienleiter Wissenschaft im Haus des Dokumentarfilms, auf einer Tagung des Hauses zu seiner Arbeit als Kameramann für die Neue Deutsche Wochenschau. Das Publikum erfuhr auch damals wieder einige interessante Anekdoten:
»Wir gingen zwar ins Kino, aber Filme kamen aus Hollywood«, so beschrieb Justus Pankau, wie er nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in Dortmund zum Film kam. Eigentlich wollte er Ingenieur werden und hatte ein wenig Ahnung von Fotografie. Doch ein Bekannter seiner Schwester begeisterte ihn, für den Dokumentarfilm zu arbeiten. Vielleicht hatte Pankaus Karriere also einen Beginn aus Zufall – aber schnell zeigte sich, dass es wohl eher eine schicksalshafte Weisung gewesen war, die Pankau zunächst nach Hamburg führte. Er wurde zu einem der wichtigsten Kameramänner des dokumentarischen Schaffens in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Was man sich heute, im Zeitalter digitaler Kameras mit gigabytestarkem Speicher gar nicht mehr vorstellen kann: Die Kameras der fünfziger Jahre arbeiteten mit Filmmaterial. Sechzig Meter waren in einer Kassette, erinnert sich Justus Pankau. Jeder Meter war kostbar, denn eine Kassette reichte für nur etwas mehr als zwei Minuten Film. Die Kameramänner lernten also, auf Schnitt zu filmen. Etwas, wie Pankau durchaus kritisch anmerkte, den meisten Dokumentarfilmern von heute gut täte.
Auch am »Tatort« wurde er oft eingesetzt – und nicht nur dort
Mit zwei Jahren kam Willy Pankau nach Dortmund und wuchs dort auf. Es wurde berichtet, dass er nach dem Krieg für Borussia Dortmund im Fußballtor stand. Wichtiger aber war sicher sein Einstieg 1948 als Kamera-Assistent in Hamburg. Ab 1954 arbeitete Pankau dann als Kameramann beim Süddeutschen Rundfunk und war dort Mitbegründer der »Stuttgarter Schule«. Bis 2001 drehte er rund 60 Dokumentarfilme sowie mehrere hundert Kurzfilme, Reportagen und aktuelle Beiträge für diverse Magazine. Er war an 52 Spielfilmen – darunter 20 Tatorten – der Mann für die Kamera. Dazwischen übernahm er immer wieder Lehrtätigkeiten an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin und der Hochschule für Film und Fernsehen in München putty download , von 1991 bis 1999 Dozent an der Filmakademie Baden-Württemberg.
Zeitzeugen-Interview für das Haus des Dokumentarfilms mit Justus Pankau © HDF / Joachim Stall
Internationale Auszeichnungen, die für mehr als eine Karriere reichten
Ausgezeichnet wurde Justus Pankau unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis für »Die Borussen kommen« (1964), mit dem Deutschen Kulturfilmpreis für »Wagenrennen« (1965), mit dem Bundesfilmpreis in Gold für Kamera beim Spielfilm »Malatesta« (1970) und dem Goldenen Leoparden beim Filmfest in Locarno für »Das Verlangen« (2002). Die letzte Auszeichnung hat er nicht mehr erlebt – da lag er schon nach einem Sturz im Krankenhaus. Am Vorabend seines Todes wurde Justus Pankau in der Ludwigsburger Scala noch einmal für sein Lebenswerk geehrt. Als Gäste bei dem Ehrenabend mit dabei waren unter anderem: die Schauspieler Walter Schultheiß und Trudel Wulle, Theaterhausmacher Werner Schretzmeier, die Regisseure Theo Metzger und Peter Lilienthal und Ex-Filmakademiechef Albrecht Ade.
Er war »der Waghalsige mit der Kamera«
Eine Szene in einem Film über die Stuttgarter Schule sorgt bei Besuchern des Hauses des Dokumentarfilms immer für große Lacher und Schaudern zugleich. Man sieht darin einen Kameramann in luftiger Höhe auf dem Gerüst des im Bau befindlichen Fernsehturms herumturnen. Er ist nicht mit Seilen gesichert und balanciert in der Hand noch eine Handkamera. Das ist Justus Pankau, der sich als damals noch junger Kameramann für das beste Bild selbst in Gefahr gab.
Auch von den Dreharbeiten für die »Tortur de France«, einem der bekanntesten Dokumentarfilme aus der SDR-Reihe »Zeichen der Zeit«, hatte sich Pankau auf Motorräder gesetzt, um ganz nah an den Fahrradfahrern zu sein, die in diesem Film von Autor und Regisseur Dieter Ertel portraitiert wurden.
Pankau gelang es dabei, eine Schlüsselszene des Films zu drehen, die aus heutiger Sicht den Spitzen-Radsport treffend charakterisiert. Die Sequenz zeigt den gestürzten Tour-Favorit Roger Rivière, der sich von diesem Unfall nie mehr erholen sollte. Das deutsche Filmteam unter Dieter Ertel und Berater Hans Blickensdörfer mit Kameramann Willy Pankau und Tonmann Siegfried Müller filmte bei der zehnten Etappe, wie der damalige Favorit und Publikumsliebling Rivière bei einer Abfahrt im Hochgebirge von der Straße abkam und 30 Meter tief einen Abhang hinunterstürzte. Rivière fuhr gedopt – er hatte Medikamente gegen die Schmerzen genommen, die bei einer Tour-Teilnahme alle Fahrer plagen.
Seine letzte Arbeit: ein Film für die Akademie
Auf Einladung des Hauses des Dokumentarfilms war Justus Pankau im Sommer 2015 noch einmal bereit, vor großem Publikum über seine Arbeit, speziell die für die »Stuttgarter Schule«, zu erzählen. Dabei berichtete er auch, mit typisch Pankau’schem Humor, was seine letzte Arbeit war: Sein letzter großer Film sei ein studentischer Abschlussfilm gewesen. »Ein Student wollt mich als Kameramann haben«, sagte er. Und weiter: »Hab’ ich gemacht. Da haben wir irgendwo im Hohenlohischen eine Geschichte gedreht. Die kriegte dann in Locarno den goldenen Leoparden als Preis. Da war ich gerade 80. Schließlich bin ich keine 90 mehr. Das war eben mal.«