Elke Werrys »16:9«: Schätze aus dem Koffer
Ein Filmbuch vom Reisen als Filmemacherin, ein Reisebuch über Filmreisende und Erinnertes in Fundstücken, die eine in Szenen denkende Autorin gesammelt hat. All das ist das im Mühlbeyer Filmbuchverlag erschienene Buch »16:9 – Fürs Fernsehen in die Ferne« von Elke Werry.
Das hat wohl jeder, der von einer längeren Reise zurückgekommen ist, schon einmal erlebt. Da haben sich im Koffer neben Wäsche und Anderem kleine, oft kuriose, meist nur dem Eingeweihten sich erschließende Fundstücke einen kostenlosen Transfer in unsere Welt erschlichen. Steinchen, Muscheln, Glitzerschmuck, Streichholzbriefchen, Duftfläschen. Allerlei Krims und Krams eben, das dann seine Zukunft in einer Schachtel oder in einem Säckchen verbringen wird. Vergessen, aber nicht aus der Welt. Viele Jahre später werden sie im besten Falle wiederentdeckt. Auf dem Teppich ausgebreitet, könnten sie als Spielzeug von Kindern und Enkeln genutzt werden. Für uns, die wir sie einst sammelten und einpackten, beginnen diese Manifestationen des einst Erlebten nun ihre Geschichten zu erzählen. Sie setzen Impulse frei, die längst vergessen geglaubte Erinnerungen hervorbringen: Wie war das gleich? Wie fühlte sich das an? Wer war damals dabei? Weißt du noch, was damals geschah?
Elke Werry, für unzählige deutsche Film- und TV-Produktionen seit vielen Jahren in etlichen Ländern als Autorin oder Kamerafrau unterwegs, muss in ihren Taschen viele solche wertlosen, aber unersetzlichen Schätze mitgebracht haben. Für ihr nun im Mühlbeyer Filmbuchverlag erschienenes Buch »16:9 – Fürs Fernsehen in die Ferne« hat sie die Funde der Vergangenheit gesichtet und die Flut der heran gespülten Erinnerungen in elf vielseitige Kapitel plus eine erhellende Vorrede kanalisiert.
Entstanden ist dabei kein Filmbuch, denn der Film und das von der Autorin perfekt beherrschte kreative Handwerk des Filmemachens sind eher Rahmenhandlung, als ein Erzählmoment. Wer will, kann am Ende spickeln, um welchen Film es sich handelte, von dessen Dreharbeiten die Autorin berichtet hat. Doch Anekdoten vom Set, Angaben zu Objektiven oder »cut scences« wird man vergeblich suchen. Und auch der Untertitel des Buches, der »Reportagen vom Filmemachen« lautet, ist nur bedingt korrekt, denn Reportagen im Stile eines Egon Erwin Kisch (über die äußere Schicht in den sozialen Kern einer Sache einzudringen) oder eines Georg Stefan Troller (durch Gespräche und Gehörtes einen Menschen zu enträtseln) sind Werrys Erinnerungen nicht.
Das allerdings schmälert den Wert des knapp 240 Seiten dicken Buches allerdings in keinster Weise. Schon gleich gar nicht, da in diesem Jahr ein einziger Dokumentarfilm in deutschen Kinos mehr Zuschauer erhielt als alle anderen Filme des gleichen Genres zusammen. Und dieser Film heißt »Weit«, den zwei Rucksackreisende in kompletter Eigenregie und -verantwortung gemacht haben, und der von nichts anderem handelt als vom Reisen. Oder vom Leben auf Reise. Und auch Elke Werry »16:9« ist das: ein höchst lesenswertes Dokument einer Vielgereisten, vom Leben im Koffer und vom Erinnern in Bildern.
Es sind – und das ist nicht verniedlichend gemeint – opulente Bildergeschichten, die Elke Werry von China, Nordkorea, aus Grönland oder Sansibar mitgebracht hat. Manchmal strömen sie wild und heftig aus den Seiten heraus. Man stellt sich vor, wie die Autorin, inmitten ihrer Mitbringsel sitzend, fast schon in Erinnerungen badete. Bei anderen Erlebnissen umkreist sie die Geschichten zaghafter, springt auch in den Erzählungen und berichtet fast im Stile eines Tagebuches. Da blitzt der Blick der Kamerafrau durch, der Szenen und Momente sieht und sammelt und hinterher zu einem Bilderstrom zusammensetzen wird.
An manchen Stellen würde man sich wünschen, die Autorin hätte nicht nur beobachtet, sondern wäre vom Drehplan abgewichen und einer Geschichte gefolgt, die sie nun in ihrem Erinnerungsbericht nur andeuten kann. So zum Beispiel wie im Kapitel über Sansibar, wo sie einem Einheimischen, Herrn Ali, folgt und er zum Erzähler der Geschichte dieses Landes wird. In solchen Momenten verwebt die Autorin das selbst Gesehene mit dem historisch Geschehenen und ihr gelingen dabei Reiseberichte, die Lust aufs Reisen machen. Und Lust aufs Filmen. Und Lust auf Reisefilme. Und das passt dann doch wieder ganz hervorragend zum Titel des Buches.