TV-Tipp 25.1.: Ein Nazi fährt nach Palästina
Es ist einer der besten Dokumentarfilme der letzten Jahre und vielleicht der klügste über das Weiter- und Zusammenleben von Juden und Deutschen hier und in Israel: Arnon Goldfingers »Die Wohnung« erzählt mit dem Blick von heute die fast unglaubliche Geschichte einer jüdischen Familie in der Zeit der Nazidiktatur und ihre Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen. Der SWR zeigt den vielfach prämierten Film am Donnerstagabend.
SWR, 23:45 Uhr: Die Wohnung
»Ein Nazi fährt nach Palästina« lautet die Überschrift in »Der Angriff«, einem Nazi-Propagandablatt aus Deutschlands dunklen Tagen. Und das ist nur der Anfang der Merkwürdigkeiten, die Arnon Goldfinger und seine Familie entdecken, als sie in Tel Aviv die Wohnung der verstorbenen Großmutter auflösen wollen. 98 Jahre alt wurde Gerda Tuchler – an der Seite Ihres Mannes, einst ein Richter in Berlin, hat sie viel erlebt und das Schlimmste überlebt. 70 Jahre lang haben die Tuchlers in Tel Aviv gewohnt- sieben Jahrzehnte haben sie Vieles aufbewahrt und wohl so weit weggeschlossen, dass aus Erinnerungen ein Geheimnis werden konnte.
Im Zentrum der Spurensucher stehen die Kontakte des SS-Offiziers Leopold von Mildenstein, der offenbar noch nach 1945 mit der jüdischen Familie Tuchler Kontakt hielt. Wie konnten ein NS-Scherge und verfolgte Juden befreundet sein? Und wie konnte es der Tochter der Tuchlers verborgen bleiben, dass sich da auch nach dem Krieg und dem Ende der Naziherrschaft ein Nazi um die Gunst ihrer Eltern bemühte. Goldfingers Ermittlung ist eine Recherche im familiären Kreis, zugleich aber auch in deutscher und israelischer Vergangenheit. Im Laufe seiner dokumentarischen Erkenntnis muss der Autor sich selbst und auch seiner Mutter Hannah unbequeme Fragen stellen. Zum Beispiel diese: Wie geht man mit Schuld um? Wird Schuld durch Schweigen aufgehoben?
Die Filmbewertungsstelle bescheinigte dem Film das Prädikat »besonders wertvoll« und begründet das u.a. wie folgt: »Dass in diesem Fall das Thema Flucht, Vertreibung und Holocaust und der Begriff Schuld nie zentral im Mittelpunkt des Films stehen, ist sicher ein Vorzug dieses Films, wohl auch und besonders durch die Tatsache, dass ein jüdischer Autor und Regisseur ihn geschaffen haben. Eines offenbart der Film aber deutlich: Hier, und sicher und auch in vielen anderen Familiengeschichten, sind es die Eltern und deren Kinder, welche nicht in der Lage sind zu fragen oder zu antworten. Es ist der Enkelgeneration vorbehalten, sich nicht nur für die Vergangenheit der Großeltern zu interessieren, sondern sich auch mit deren Schuld auseinanderzusetzen.«
Das Haus des Dokumentarfilms zeigte den Film 2012 im Rahmen der Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart vor einem bis auf die letzten Sitz- und Stehplätze gefüllten Saal. So ging es dem Film auch anderswo: »Die Wohnung« erhielt den Bayerischen Filmpreis und war 2013 für den Deutschen Filmpreis nominiert. Goldfingers Suche nach der Wahrheit ist vielleicht der klügste Dokumentarfilm seit Langem über das Weiter- und Zusammenleben von Juden und Deutschen hier und in Israel.