Am 27. Januar jährte sich zum 73. Mal die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Knapp ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende dieses Genozids mitten in Europa scheint es zunehmend wichtiger zu werden, die Fakten von Lügen zu trennen. Keinem ist das so eindringlich gelungen wie Claude Lanzmann, indem er Opfer von ihrem Erlebten berichten ließ. Arte stellt, wie bereits in der Vorwoche, den Dienstagabend unter die Überschrift »oral history« und zeigt erneut drei Filme des großen Filmemachers in Erstausstrahlung: die letzten beiden Folgen der »Vier Schwestern«-Reihe sowie eine oscarnominierte Kurzdoku des Journalisten Adam Benzine mit dem Titel »Claude Lanzmann – Stimme der Shoah«.
Arte, 20:15 Uhr und 21:45 Uhr : Vier Schwestern
Teil 3: Baluty, Paula Biren
Teil 2: Arche Noah, Hanna Marton
Arte, 0:25 Uhr: Claude Lanzmann – Stimme der Shoah
»Shoah«, »Warum Israel« oder auch »Tsahal« sind Filme, in denen der französische Filmemacher Claude Lanzmann den Holocaust sowie die Vergangenheit und Gegenwart des jüdischen Volkes thematisiert hat. Die filmische Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Juden im 20. Jahrhundert ist das große Thema seiner Arbeit. Mit »Vier Schwestern« setzt er nun vier weitere Teile diesem Werk hinzu.
Mit vier Frauen – Ruth Elias, Ada Lichtman, Paula Biren und Hanna Marton – führte Lanzmann ursprünglich für »Shoah« lange Gespräche geführt. Nun hat er daraus vier lange Dokumentarfilme geschnitten.
Die Arbeitsweise und Darbietung ist – üblich für die früheren Filme des Regisseurs – ganz aufs Hinhören ausgerichtet. Im Zentrum der fest installierten Kamera ist nur die jeweilige Gesprächspartnerin. Aus dem Off hört man gelegentliche Fragen von Lanzmann. In denen zeigt er stets, wie vertraut er mit der schrecklichen Geschichte ist. Er führt seine Gesprächspartnerinnen dabei ganz gezielt in ihre Erinnerungen. Ihren Angaben kann er geografische und zeitliche Details hinzufügen.
So kann sich der Zuschauer ganz auf das konzentrieren, was die vier Frauen berichten. Wer sich darauf einlässt, erfährt aus erster Quelle, wie die Nazis ihren furchtbaren Traum von der Vernichtung der Juden in die Tat umsetzten.
Teil 3:
Aus dem jüdischen Ghetto in Lodz sind zahlreiche Dokumente, Tagebuchaufzeichnungen und sogar einige Fotos erhalten, aber nur wenige Aussagen von Überlebenden. Umso bedeutender sind die Erzählungen von Paula Biren, die damals der weiblichen Ghettopolizei angehörte und das Geschehen scharf beobachtete und klug einzuordnen wusste. In Polen gab es Hunderte Ghettos, von denen das in Lodz am längsten bestand. Es wurde mit harter Hand von Mordechai Chaim Rumkowski geführt. Der Leiter des Judenrates, von den Bewohnern auch „König Chaim“ genannt, war überzeugt, dass er einen Teil der Juden retten könnte, indem er sie zu unverzichtbaren Arbeitskräften für die Deutschen machte.
Teil 4:
Als die Nazis 1944 mit der Deportation ungarischer Juden begannen, verhandelte der Leiter des Hilfs- und Rettungskomitees Rudolf Kastner mit Adolf Eichmann und bot diesem ein Lösegeld pro Person. Kastner erhöhte den Preis so lange, bis Eichmann einwilligte, Juden gegen Geld freizulassen. Ein Spezialtransport fuhr von Budapest über Bergen-Belsen in die Schweiz. Hanna Marton gehörte zu den 1.684 Juden des Konvois, die so dem sicheren Tod entkamen. Zeitgleich wurden nach der grausamen Vernichtungslogik der Nazis im Gegenzug 450.000 ungarische Juden in den Gaskammern von Birkenau ermordet beziehungsweise bei lebendigem Leib im Freien verbrannt
Claude Lanzmann – Stimme der Shoah:
30 Jahre nach Vollendung seines zehnstündigen Meisterwerks “Shoah” erzählt Claude Lanzmann dem Filmemacher und Journalisten Adam Benzine von den menschlichen und künstlerischen Abgründen, an die ihn das Ringen um die Wahrheit über die Ermordung der Juden führte.
Claude Lanzmann führt mit seiner emotionalen Erinnerung zurück in die 70er Jahre, als er fast 30 Jahre nach Kriegsende in Deutschland auf Täter traf, die wenig Reue zeigten, die sich in einer scheinbar wohlgeordneten Kleinbürgerlichkeit eingerichtet hatten und die nur mit Tricks und verdeckter Kamera zum Reden gebracht werden konnten. Und als die Überlebenden selbst möglichst nicht mehr mit dem Schmerz des Erlittenen konfrontiert sein wollten. Doch genau darum ging es Claude Lanzmann, er wollte, dass sie mit ihm, mit dem Film, mit den Zuschauern, das Grauen in der Erinnerung noch einmal erfuhren. Der Film feierte beim Internationalen Dokumentarfilmfestival Hot Docs in Toronto in einer 40-minütigen Fassung seine internationale Premiere und erhielt dort eine lobende Erwähnung. Unter anderem war er auch für den Kurzdoku-Oscar 2016 prämiert.
Vier Frauen
4-tlg. Dokumentarfilmreihe, F 2017, jeweils 90 Minuten
Regie: Claude Lanzmann
Produktion: Arte France
Claude Lanzmann – Stimme der Shoah
Dokumentarfilm, GB 2015, 58 Minuten
Regie: Adam Benzine
Produktion: u.a. ZDF
(Thomas Schneider / mit Material von Arte)