Der Verband der deutschen Filmkritik hat Yulia Lokshina für „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ als Besten Dokumentarfilm 2020 ausgezeichnet. Mit dem Ehrenpreis würdigt der Verband die Dokumentarfilmerin Tamara Trampe für ihr Lebenswerk.
Essayistischer Dokumentarfilm gewinnt
Normalerweise vergeben die Filmkritiker ihre Preise während der Berlinale. In diesem Jahr haben sie sich dazu entschlossen es vor dem Industry Event Anfang März virtuell zu vergeben. Mit „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ wird ein anspruchsvoller Dokumentarfilm gewürdigt, der sich schon vor dem Skandal in den Tönnies-Fleischfabriken mit den dortigen Arbeitsbedingungen beschäftigt, die die spottbilligen Fleischpreise im Supermarkt ermöglichen. Da keine Bilder in der Fabrik gedreht werden konnten, recherchiert eine Schulklasse die Thematik und führt ein Theaterstück auf. Sie abstrahieren dabei die Vorgänge in der Fleischfabrik.
Jury-Begründung für „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“
Die Jury begründete ihre Entscheidung damit: „Die Klugheit von Yulia Lokshinas Dokumentarfilm besteht in seinem Essayismus, der die Medien des Erzählens mitdenkt, das Theater, den Journalismus, den Film. Auf diese Weise entsteht ein Dokument, das nicht mit dem Kopf vor die Wand der Empörung rennt, sondern sich als zeitlose Übersetzungshilfe begreift: für Bilder, die nicht gemacht werden können, und Vorstellungen, die nicht stimmen. ‚Du hast nicht aufgepasst‘, sagt der Deutschlehrer zum Arbeiter im Kurs, der ihm versucht zu erklären, dass nicht individuelles Versagen vorliegt, sondern ein strukturelles Problem. Das Deutsch des Lehrers ist also falsch – und das sichtbar zu machen, ist Verdienst dieses Films.“
Tamara Trampe erhält Ehrenpreis
Mit ihrem Ehrenpreis zeichnet der Verband das Lebenswerk von Tamara Trampe aus. Mit ihren vier Dokumentarfilmen hat Tamara Trampe – zusammen mit ihrem Regiepartner und Kameramann Johann Feindt – ein Werk geschaffen, das in seiner moralischen Komplexität, seiner Schonungslosigkeit, aber auch Empathie gegenüber seinen Protagonisten einzigartig ist. Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder das komplexe Verhältnis zwischen Individuum und den übergeordneten historischen Ereignissen und gesellschaftlichen Umständen.
Der Einzelne und gesellschaftliche Zwänge
So versucht der Stasi-Offizier Jochen Gierke in Trampes Debütfilm „Der schwarze Kasten“ (1992) seine Verstrickung in ein Überwachungsregime zu rechtfertigen. Der mit einem Grimme-Preis ausgezeichnete „Weiße Raben – Alptraum Tschetschenienkrieg“ (2005) zeigt, wie der Krieg das Leben junger Menschen zerstört, wie aber auch aus Opfern Täter werden. Ihr poetischster Film „Wiegenlieder“ (2010) spürt den verworrenen Schicksalen von Berlinern nach. Mit ihrem persönlichsten Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ (2014) wendet sich Trampe der Geschichte ihrer Mutter und der eigenen Geburt im Kriegswinter 1942 zu. Der Ehrenpreis soll im Sommer real verliehen werden mit Gästen, Laudatio und einem Filmprogramm im Kino.
Insgesamt zwölf Preise vergeben
Zum besten Spielfilm 2020 kürten die Kritiker*innen „Giraffe“ von Anna Sofie Hartmann. Als Bester Kinderfilm wurde „Zu weit weg“ von Sarah Winkenstette ausgezeichnet. Tom Otte gewann für seinen Kurzfilm „For Reasons Unknown“ und Vika Kirchenbauer für „Untitled Sequence of Gaps“ als bestem Experimentalfilm. Sämtliche zwölf Preise unter Verband der deutschen Filmkritik.
Würdigung künstlerischer Arbeiten
Als einziger deutscher Filmpreis, der ausschließlich von Kritiker*innen vergeben wird, zeichnet der Preis der deutschen Filmkritik seit 1956 deutsche Filme aus, die nicht nach wirtschaftlichen, länderspezifischen oder politischen Kriterien bewertet werden, sondern ausschließlich nach künstlerischen. Über die Preisvergabe entscheiden Jurys aus Mitgliedern des Verbandes der deutschen Filmkritik.