Schon unter Papst Benedikt schien die Katholische Kirche das Problem pädophiler Priester angehen zu wollen, unter Franziskus wurde nach 2013 so klar wie nie zuvor der Kampf gegen Missbrauch in der Kirche eröffnet. Geschehen ist ernüchternd wenig – das meint jedenfalls der britische Journalist John Dickie, der in dem italienischen Dokumentarfilm »Hinter dem Altar« die Ursachen analysiert, wieso die Null-Toleranz-Politik der Kurie nicht wirklich voran kommt. Ein wichtiger Film über »Das Schweigen der Hirten«. Bis 31. März 2018 in der Arte-Mediathek zu sehen.
Es ist ein Verbrechen, das sprachlos macht. Und das im wortwörtlichen Sinne. Oft erst Jahrzehnte später lösen sich für Opfer, die als Kind oder Teenager sexuell missbraucht wurden, die Fesseln des selbst auferlegten und von den Tätern erzwungenen Schweigens. Viele Opfer schweigen ihr Leben lang vor Scham und Minderwertigkeitsgefühlen.
Pädophile Grenzüberschreitungen, Missbrauchsvergehen und kriminelle sexuelle Handlungen und Vergewaltigungen sind auf kirchliche Täter beschränkt. Überall dort, wo Personen Autorität bis Familien hinein genießen und ihnen quasi im guten Glauben Vollmachten eingereicht werden über das Wohl der Kinder, überall dort also, wo Macht und Vertrauen ein Konglomerat bilden, das jedes Misstrauen aushebeln kann, sind Kinder bedroht. In Sportvereinen, in Kindertagesstätten, in Schulen, in Jugendgruppen.
Hinter dem Altar (Arte-Mediathek)
(Video laut Sender abrufbar bis 3. März 2018)
Und auch in der Kirche. Gerade in der Kirche. Das ist kein Phänomen der letzen Jahrzehnte, es ist ein furchtbares Begleitphänomen seit Jahrhunderten. Der britische Historiker und Journalist John Dickie versucht gemeinsam mit dem italienischen Filmemacher Jesus Garces Lambert in der Dokumentarfilm »Hinter dem Altar« zu ergründen, wieso die 2013 von Papst Franziskus angekündigte Aufklärung von Missbrauchsfällen in der Kirche im Ansatz stecken geblieben ist. Die Gründe dafür sind oft mehrere hundert Jahre alt. Zum Schweigen der Opfer und Täter hat sich speziell in der Katholischen Kirche das Schweigen der Aufseher gesellt. Das sind nach Kirchenrecht allein die Bischöfe – und die sind bis heute nicht daran gehalten, die ihnen bekannt gewordenen Fälle der weltlichen Justiz zu übergeben.
Die Folgen sind krass und einige von ihnen schildert dieser Film. Was aber den Zuschauern tief berührt ist vielleicht jene Stelle, die in Italien spielt. Da sitzt ein angesehener italienischen Bischof und raisoniert in die Kamera über die Anzeigeverpflichtung von Missbrauchsfällen. Der Mann Gottes öffnet seinen Mund und – man kann es nicht anders sagen – heraus kommen Widerwärtigkeiten und Lügen. Unter anderem vermutet dieser Kirchenmann, dass mancher 15- oder 16-Jähriger, der missbraucht worden sei, dabei vielleicht sogar Spaß empfunden habe. Übrigens könne man in diesem Alter ja eh nicht mehr von Pädophilie sprechen.
Herunterspielen, verharmlosen und vertuschen. Das sind die Werkzeuge, mit denen ein uraltes kirchliches Schweigegelübde auch heute noch unter Papst Franziskus aufrecht erhalten wird. Der britische Ko-Autor, der als journalistischer Presenter durch den Film führt, spricht mit Betroffenen. Und zwar auf beiden Seiten: mit Opfern und mit Tätern. Man solle nicht bestrafen, sondern vorbeugen, sagt einer, der ausgestoßen wurde aus dem Kreis der Priester, weil er sich an Kinder verging. Ein anderer sagt den vielleicht wichtigsten Satz: Es sind keine einzelnen schwarzen Schafe, nein, »Die ganze Herde ist betroffen.«