Er wäre nun also 100 Jahre alt geworden. Dieser Satz ist stets Arbeitsauftrag für Dokumentationen und Biografien jeglicher Art. Im Fall des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman, dieses einzigartigen Genies des europäischen Autorenfilms, hätte es des Anlasses gar nicht bedurft. Denn über Bergmann kann man nie genug erfahren und an seine über 40, heute selten gespielten Filme zu erinnern, ist kulturelle Pflicht. Als ganz persönliche Aufgabe allerdings sah es Margarethe von Trotta an. Sie weilt »Auf der Suche nach Ingmar Bergman« und macht daraus einen Dokumentarfilm, der vor allem dann gut ist, wenn er nicht dokumentarisch sein will.
Kinostart: 12. Juli 2018
Hätte Liv Ullmann, jene norwegische Bergman-Aktrice aus elf gemeinsamen Filmen, einen eigenen Hundert-Jahre-Film über »ihren« Regisseur gedreht, es wäre sicher ein aus dem Schatzkämmerlein gemeinsamer Erfahrungen kullerndes Kleinod geworden. So wäre es gekommen; schon allein deshalb, weil aus dem Innern heraus, durch Ullmann hindurch, Bergman gesprochen hätte. Das kann man bereits in den paar Szenen ahnen, die Liv Ullmann in Margarethe von Trottas Film füllt. Am Tisch mit der Besucherin, gemeinsam auf dem Sofa sitzend, schildert sie, wie sie zur Bergman-Mimin und dann zu einer Bergman-Jüngerin wurde (nicht die einzige). Ach, wie gerne hätte man ihren Erinnerungen noch eine Weile länger zugehört.
Margarethe von Trotta ist zweifelsohne eine große deutsche Filmemacherin. Doch das dokumentarische Format hat sie bisher noch nicht genutzt. Für diesen Film holte sie sich die Unterstützung ihres Sohnes Felix Moeller, der zuletzt mit »Sympathisanten« bewies, dass man ein zeitgeschichtliches Thema (den »deutschen Herbst«) mit der eigenen Biografie (als Sohn von Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff) packend und stimmig verknüpfen kann. Was verbindet von Trotta mit Bergman? Was füllt ihren 99 Minuten langen Kino-Dokumentarfilm, wo doch zum Beispiel zeitgleich im Fernsehen von Henrike Sandner mit »Ingmar Bergman – Herr der Dämonen« eine hervorragende in die Psyche und Arbeit des Schweden eintauchende Dokumentation zur Aufführung ansteht?
Oder um es ganz schnoddrig zu sagen: Ist Margarethe mehr als ein Fan-Projekt von Ingmar gelungen?
Die Antwort lautet ja und nein. Es gibt in dieser in Form einer (oder auch vieler) Reisen erzählten Suche sehr viele Einstellungen, die uns eine zuhörende, fragende, lachende Margarethe von Trotta zeigen. Mal geht sie jene Straße hinunter, mal klingelt sie an jener Tür. Es ist ein Zugang, der von außen erfolgt und damit ganz anders ist, als es jener nicht gedrehte Liv-Ullmann-Film geworden wäre. Dabei spinnen ihre vielen Besuche bei Bergman-Kindern, -Kennern und -Weggefährten zwar einen roten Faden durch den Film, aber in der Vielzahl der Aussagen bleibt die Sicht dennoch eine von außen. Eine bewundernde Sicht, das schon. Aber auch eine, die irgendwie nicht ins Innere reicht.
Bergman nahe kommt die Filmemacherin dann, wenn sie von ihren eigenen Erlebnissen erzählt. Gleich zu Beginn – ein starker Start – besucht sie einen Strand, der in »Das siebte Siegel« eine ganze besondere Bedeutung spielte – und, so von Trotta, für sie selbst auch. Denn nach diesem Film fühlte sie sich selbst zum Filmemachen berufen. Viele Jahre später ist Bergman zu Gast bei ihr in München, wo er im Streit mit dem schwedischen Finanzamt in ein ökonomisch-künstlerisches Exil geht. Und am stärksten fühlt man ihre Beweggründe dafür, diesen Film gemacht zu haben, auch in dem nach fast drei Jahrzehnten nicht vergangenen Stolz, als sie eine Anekdote aus den frühen Neunziger Jahren enthüllt. Bergman war damals aufgerufen, seine für ihn wichtigsten Filme zu benennen. Unter den zehn großen Werken findet sich ein einziger von einer Frau: Margarethe von Trottas »Die bleierne Zeit«. Darauf ist sie bis heute stolz und das zeigt sie auch.
Was bietet nun letztlich diese »Suche nach Ingmar Bergman«? Ist es eher ein Anekdoten- und Erinnerungsfilm oder mehr eine persönliche Annäherung? Die dritte Komponente ist vielleicht jene, die am meisten zählt. Der Film ist nämlich auch mit sehr vielen, stark gewählten und präzise in die Handlung montierten Filmausschnitten aus großen Bergman-Werken angereichert. Ein Extralob muss man hier der Editorin Bettina Böhler (auch als Co-Regisseurin genannt) zukommen lassen (wie übrigens auch Kameramann Börres Weiffenbach für seine wie immer tolle Arbeit).
Was den Film dann doch auch als Bergmann-Rückbesinnung wertvoll macht, ist das Eintauchen in die Film-, Angst- und Gedankenwelt des Meisters, die er anbietet. »Kunst definiert, was wahr ist«, hat Ingmar Bergman einmal gesagt. Und meinte damit: Der Regisseur als Gaukler bestimmt, was es zu sehen gibt, und der Zuschauer hat ihm zu folgen. Sich diesem Diktat unterwerfen zu dürfen, macht Vieles wett, was von Trottas Film nicht leistet. Dort, wo er kein Reise- und auch kein Dokumentarfilm mehr ist, sondern einfach nur Bühne für Bergmans unglaublich kraftvollen Arbeiten, da ist er dann auch am besten.
Die Suche nach Ingmar Bergman führt auch immer wieder zu Margarethe von Trotta. Und wer nach dem Kinobesuch noch einmal vor dem Plakat stehen bleibt, mag das Motiv so deuten: Da steht sie, die deutsche Fimemacherin, scheinbar in weiter gedanklicher Ferne, an einen Steinmonolithen gelehnt. Es ist der Strand, an dem vor vielen Jahren Max von Sydow für Ingmar Bergman kniete und dem Tod begegnete. Die Reise der Filmemacherin zu Ingmar Bergman führt auch zu ihrem eigenen Anfang zurück als Künstlerin – und zu ihrem in der Zukunft liegenden Ende. Von den zehn Regisseuren, die Bergman einst auf seine Top-10 setzte, sind neben Bergman alle gestorben. Bis auf die eine. »Nur ich lebe noch, hoffentlich noch eine Weile«, sagt Margarethe von Trotta im Film. Menschen sind vergänglich, Kunst wird vergessen. Nur manche Werke erweisen sich als die stärksten Steine, die sich auch in Generationen noch gegen die Gezeiten stemmen werden. Dieses starke Bild war die ganze Reise wert.