Er war der vielleicht stärkste Mann der DDR, er kontrollierte 175.000 Stasi-Mitarbeiter und er ließ Millionen überwachen. Am Ende war er ein scheinbar haftunfähiger Greis, der für einen 60 Jahre zuvor begangenen Polizistenmord verurteilt wurde. Das Dokudrama »Erich Mielke – Meister der Angst« (am Sonntagabend im MDR) versucht, die vielen Gesichter und Facetten des »Genossen Minister« zu zeigen. Eine vielschichtige Aufarbeitung, die Mielkes Wesenszug herausstellt, der ihm den Aufstieg ermöglichte: Brutalität gepaart mit Fanatismus.
MDR, 23:10 Uhr: Erich Mielke – Meister der Angst
Wer war Erich Mielke? »Das Urteil der Geschichte über Sie steht bereits fest«, sagt die Psychologin dem Mann ins Gesicht, den sie da beobachten und analysieren soll. Wer Mielke war, scheint klar: mehr als 30 Jahre lang Minister für Staatssicherheit in der DDR und damit für den Aufbau und Einsatz der Stasi gegen das eigene Volk verantwortlich. Aber, die Frage bleibt: Wer ist Erich Mielke?
Es ist die Schlüsselszene des Dokudrama »Erich Mielke – Meister der Angst«. In der (nachgestellten) JVA Moabit sitzt der entmachtete Mielke und wartet auf den Prozess für einen Polizistenmord, den er als junger Mann 1931 begangen haben soll. Die Psychologin soll die Haftfähigkeit des zu dieser Zeit schon 83 Jahre alten Mannes prüfen. Die kammerspielartige Szenerie, in der vor allem Kaspar Eicher als Erich Mielke großartig agiert, gibt den kompletten 90 Minuten dieses Dokudramas ihr erzählerisches Gerüst. Wer also ist dieser Mann, der da als gebrochener Greis hinter Gittern auftritt?
Von einem Moment auf den anderen kann er von Tattegreis zum Schwadroneur werden, dann wieder zum Wüterich, zum herablassenden Besserwisser, der sein Gegenüber mit »Schätzchen« abkanzelt; ein Polterer, der »Pistolen-Erich«, dann wieder ein treuer Kommunist und der stränge, aber zugleich fürsorgliche Lenker eines Riesenapparats, der die Putzfrau beim Vornamen begrüßt. Weitere Eigenschaften und Rollen werden vor allem in den dokumentarischen Teilen des 90-Minüters sichtbar. Ein Paranoiker, der seinem eigene Volk misstraute, aber von allen geliebt werden wollte; ein Asket mit dem Willen zur Macht; ein treuer Ehemann; ein gnadenloser Richter über Menschen und Schicksale.
Jens Becker und Maarten van der Duin, die für Looks Filmproduktionen im Autrag des MDR und Arte dieses Spiel mit den verschiedenen Realitätsebenen inszeniert und dokumentiert haben, ziehen alle Register des Dokudramas. Fiktionale Szenen aus Mielkes Zelle und – ein paar Jahre früher – aus seinem engsten Zirkel im Ministerium kombiniert der Film nahtlos mit dokumentarischen Quellen. Fotos, Tonmitschnitte, Interviews und Kommentarsequenzen versuchen, das Porträt des Erich Mielke so dicht zu machen, wie es nur geht. Dass das am Ende nicht gänzlich gelingt, ist kein Versagen des Films, sondern dem Ungreifbaren seines Protagonisten geschuldet. Mielke bleibt der Mann ohne herausstechende Eigenschaften, der hinter dem Apparat verschwindet, den er erschaffen hat.
Vielleicht kommt ihm der russische Wissenschaftler am nächsten, der einfach nur sagt: »Für mich war er ein Mörder.« Eine Nachruf, da hat die Psychologin recht, den sich Erich Mielke selbst erarbeitet hat.