Im vergangenen Jahr war auf den dokumentarischen Filmfestivals auffällig, dass es inzwischen ausgesprochen viele Dokumentarfilme zum ehemaligen Jugoslawien, dem dortigen Bürgerkrieg, dem schmerzhaften Prozess der Trennung und dem Erstarken des Nationalismus gab. Der Schweizer Animadoc-Film »Chris the Swiss« von Anja Kofmel war einer der stärksten und überzeugendsten Produktionen. Er hat nun die deutschen Kinos erreicht und ist ein sehr gutes Beispiel, wie man Dokumentarfilm und Animation vorbildlich verknüpfen kann. Dies wird in diesem Jahr auch ein Thema bei Dokville (www.dokville.de) sein, dem Branchentreff des Hauses des Dokumentarfilms, der vom 27.-28. Juni in Stuttgart stattfinden wird.
Kinostart: 31.1.2019
Der junge Schweizer Journalist Christian Würtenberg ging 1992 nach Kroatien, um für ein alternatives Radio in der Schweiz über den Bürgerkrieg zu berichten. Dort starb er unter rätselhaften Umständen. Die Regisseurin ist seine Cousine und begibt sich auf Spurensuche, was dort passiert ist und warum er sterben musste. Denn für sie als Mädchen war er immer das große Vorbild. Sie bewunderte ihn für seine Reisen, seine Abenteuer und die Freiheit. Bei ihrer Spurensuche, die auf Tagebücher und Notizen von Chris basiert, deckt sie die Hintergründe auf und identifiziert seine wahrscheinlichen Mörder. Denn in Kroatien wechselt er die Rolle und schließt sich einem kroatischen paramilitärischen Söldnerheer an und kämpft selbst gegen die Serben. Er will über seine Erlebnisse ein Enthüllungsbuch schreiben und erwähnt dies offen gegenüber seinen Mitkämpfern. Er spürt der Verwicklung der ultrakatholischen Bewegung »Opus Dei« nach, die Kroatien als wichtiges Bollwerk gegen die serbisch-orthodoxe Kirche und den Islam sieht. Als Journalist wird er eine Gefahr. Wohl deswegen erwürgen ihn seine Mitkämpfer schließlich, um ihn endgültig mundtot zu machen.
Erzählt wird diese Geschichte mit viel Archivmaterial – es überrascht immer wieder, wovon die Menschen Filme drehen – und vor allem durch eine beeindruckende Animation, die von der Regisseurin selbst entwickelt wurde und die dann von einem 30-köpfigen Team in Zagreb umgesetzt wurde. Sie hatte vorher schon den kurzen Animationsfilm »Chrigi« (2010) über Chris gemacht und bleibt ihrer visuellen Umsetzung treu. Die Animationen ermöglichen es, die gefährlichen Situationen im Krieg sehr direkt mitzuerleben.
Anja Kofmel musste für ihren ersten langen Film lange kämpfen, hat dies aber auch mit viel Energie und Durchsetzungsvermögen geschafft. Sie hat ihn sozusagen von Anfang bis Ende maßgeblich gestaltet. Insgesamt hat die Produktion sieben Jahre gedauert. Es gab lange Diskussionen, wie das Verhältnis zwischen Neudreh, Archivmaterial und Animation sein sollte. Am Ende nahm die Animation fast die Hälfte des Films ein und deshalb musste »Chris the Swiss« entsprechend hoch budgetiert werden. Neben dschoint ventschr aus Zürich und Ma.ja.de in Leipzig gab es mit Nukleus Film einen kroatischen Koproduzenten, der nach einem Regierungswechsel politisch viel Druck bekam, da der Film nicht neutral genug sei. Es gab direkte Einmischungen der Kulturbehörde und eine bereits zugesagte Förderung wurde gestrichen. Das zeigt, wie aktuell die Konflikte noch sind. Der Film ist ein herausragendes Beispiel, wie stark dokumentarisches Material und Animation zusammenwirken können.
Eine besondere Herausforderung war es, einen visuellen Stil zu entwickeln für die Darstellung der Grausamkeiten in diesem Krieg. Anja Kofmel hat den geschickten Weg einer Abstraktion gewählt. Das Böse wird nicht als konkrete Menschen dargestellt, sondern aus vielen Einzelteilen bestehende Figuren, die sich in einem Raum ausbreiten und das Opfer regelrecht umringen können. Diese Bilder geben dem Film eine unglaubliche Kraft und zugleich zeigen sie eindrücklich die Gefahr, die von diesem Bösen ausgeht. Unterstützt wird dies durch die Musik, die nach dem Rohschnitt in Auftrag gegeben wurde. In anderen Sequenzen entwickelt die Animation eine fast schon poetische Qualität. Die Rechteklärung für das historische Material war nicht ganz einfach, aber es verblüfft, von welchen Ereignissen es Aufnahmen gibt. Dies gilt insbesondere für den Alltag der Söldnertruppe. Stark sind die Interviews mit zwei Kriegsjournalisten, mit denen Chris gearbeitet hat.
Die persönlich erzählte Geschichte gewinnt ihre Stärken gerade durch die Animation. Dadurch kann sie zum einen die Geschichte von Chris erzählen, von dem es sonst hauptsächlich Fotos gibt, aber auf der anderen Seite die verschiedenen Ereignisse sehr emotional erzählen, überhöhen und subjektiv erlebbar machen.
Von daher ist »Chris the Swiss« auch ein sehr gutes Beispiel, wie man Dokumentarfilm und Animation vorbildlich verknüpfen kann. Dies wird in diesem Jahr auch ein Thema bei Dokville (www.dokville.de) sein, dem Branchentreff des Hauses des Dokumentarfilms, der vom 27.-28. Juni in Stuttgart stattfinden wird.