Auf großes Interesse stieß wieder die DOK Premiere im Caligari Kino. Gezeigt wurde »Genesis 2.0« und mit dem Filmemacher Christian Frei danach diskutiert. Er gehört zu den wichtigsten Schweizer Dokumentarfilmern, der regelmäßig alle paar Jahre sehr aufwändige und originelle Filme vorstellt. »War Photographer« (2001) über den renommierten Kriegsfotografen James Nachtwey war als erster Schweizer Dokumentarfilm für den Oscar nominiert.
Er begleitete den Fotografen zwei Jahre und hatte eine kleine Optik an seiner Kamera angebracht. So konnten die Zuschauer nachvollziehen, wie er auf eine Situation reagiert und wann er auslöst. In »The Giant Buddhas« (2005) beschäftigte Frei sich mit den zerstörten Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan und den Versuchen ihrer Rekonstruktion. „Space Tourist“ (2009) kontrastiert die Welt schwerreicher Weltraumtouristen mit dem Alltag der Raketenschrott-Sammler in den Steppen Kasachstans. In »Sleepless in New York« (2014) geht es um Liebeskummer, für den eine besonderen Optik notwendig war. Seine Dokumentarfilme beeindrucken die Zuschauerinnen und Zuschauer immer wieder und wurden auf zahlreichen Festivals ausgezeichnet.
Nach seinem Studium gründete er 1984 seine eigene Produktionsfirma. Sein erster langer Dokumentarfilm war 1997 »Ricardo, Miriam y Fidel« über eine Familie in Kuba. 2016 produzierte Frei den Dokumentarfilm »Raving Iran« von Susanna Regina Meures und aktuell produziert er ihren zweiten Langfilm. Seit 2006 ist Christian Frei Lehrbeauftragter für “Reflexionskompetenz” an der Universität St. Gallen. Von 2006 bis 2009 war er Präsident des Begutachtungsausschusses “Dokumentarfilm” des Bundesamtes für Kultur. Seit August 2010 ist er Präsident der Schweizer Filmakademie.
Zur DOK Premiere in Ludwigsburg war auch der Schweizer Generalkonsul in Stuttgart Ernst Steinmann und seine Gattin gekommen, die sehr beeindruckt waren von seinem neuesten Film. »Genesis 2.0« ist ein spannender Film zwischen Vergangenheit und Zukunft. Er kontrastiert die archaischen Bilder von den Mammutjägern auf den Neusibirischen Inseln mit den kühlen Bildern von wissenschaftlichen Konferenzen und Gen-Laboren. Durch den Klimawandel tauen die Regionen auf, wo bisher Permafrost herrschte. Das legt nicht nur die Stoßzähne von Mammuts frei, sondern auch Kadaver aus den Urzeiten. Viele haben die Idee, man könnte in dem gefundenen Fleisch noch lebende Zellen finden, um Mammuts zu klonen. Diese Vision, verbindet die beiden Welten.
Den Film hat Christian Frei zusammen mit dem jungen russischen Filmemacher Maxim Arbugaev gemacht und diese Zusammenarbeit als eine seiner bisher besten Erfahrungen bezeichnet. Maxim Arbugaev begleitete die Jäger für eine Saison und kam ihnen dabei sehr nahe. Er brachte über 200 Stunden Material mit. Eine erste Auswahl und Redaktion auf 20 Stunden übernahm der Editor Thomas Bachmann. Es wird deutlich, dass die Mammutjäger nur für perfekte Stoßzähne hohe Preise erzielen und für die anderen mit wenig Geld abgespeist werden. Die höchsten Gewinne machen die Zwischenhändler. Selbst wenn die Mammutjäger viel verdient haben, wird das Geld oft schnell in Kasinos verjubelt, erzählte er beim Filmgespräch.
Die Aufnahmen, die Christian Frei wieder mit seinem Kameramann Peter Indergand an den verschiedenen Plätzen der Welt drehte, entstanden später und wurden im Film dramaturgisch verdichtet. Mit seinem Film will Frei auch über die aktuellen Möglichkeiten der synthetischen Biologie informieren, bei der die Biologen völlig neue Geschöpfe schaffen und optimieren. Er warnt davor, den Forschern nur Böses zu unterstellen, aber fordert eine ethische Sensibilität ein, die nicht überall gegeben ist. »Genesis 2.0« konfrontiert die Zuschauerinnen und Zuschauer mit ihren eigenen Ängsten vor der unbekannten Zukunft.
Der Film hat sehr poetische Momente wie den Anfang, bei dem das jakutische Heldenepos Olonko zitiert wird zu schönen Aufnahmen von Eisgletschern oder in Sequenzen, in denen es um die Mythologie rund um die Mammuts geht. Diese dritte Ebene war ebenso wie die sphärische Musik von Max Richter und Edward Artemyev von Anfang an geplant. Frei nutzt die Musik als integralen Bestandteil des Films und will sie nicht wie Schlagsahne oben draufklatschen.
Regelmäßig kommen sehr starke und bildgewaltige Dokumentarfilme aus der Schweiz. Frei erklärt sich ihren Erfolg durch eine gute Finanzierung, die für das Genre über Jahre erkämpft wurde. »Genesis 2.0« hatte beispielsweise ein Budget von rund 800.000 €. Auch dadurch gibt es eine faszinierende Bandbreite an Dokumentarfilmen und viele hätten sich spezialisiert auf bestimmte Themen. In der Schweiz sei der Dokumentarfilm aber schon seit einiger Zeit als gleichberechtigtes Genre anerkannt und nicht mehr die kleine schmuddelige Schwester der großen, strahlenden Blondine Spielfilm. Das Publikum sei sehr interessiert an Dokumentarfilmen. Bei der Vergabe des Schweizer Filmpreises werde immer wieder diskutiert, ob nicht auch ein Dokumentarfilm am Ende der Preisverleihung – sozusagen als Höhepunkt des Abends – stehen kann.