Sie ist die bis heute bekannteste deutsche Künstlerin – und in diesem Satz steckt, wie eine Nachfahrin von Käthe Kollwitz im Film sagt – ein entscheidender Fehler. Denn, dass man sie nur als Künstlerin bezeichnet, ist eine geschlechtsspezifische Einordnung, gegen die Käthe Kollwitz, geb. Schmidt,mit ihrer ganzen Individualität ankämpfte. Zweifelsohne gehört sie zu den größten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Nicht nur ihr künstlerisches Werk, sondern vor allem ihre vielen Tagebucheinträge liefern der Dokumentation »Kollwitz« von Henrike Sander und Yury Winterberg Quellen, die von einem außerordentlichen Leben berichten. Arte zeigte die Dokumentation von LOOKS Film & TV am 5. Juli 2017 in Erstausstrahlung. Bis 4. August 2017 ist sie nun in der Arte-Mediathek abrufbar.
Kollwitz – Ein Leben in Leidenschaft
Yury Winterberg kennt »die Kollwitz« bestens – denn schon für die Dokudrama-Serie »14 – Tagebücher des Ersten Welkriegs« (ebenso wie »Kollwitz« aus dem Hause Looks Film & TV Produktionen) hatte er eine beeindruckende Episode mit einer (damals inszenierten) Kollwitz eingebracht. Die vielen, vielen Tagebucheinträge, die von der Künstlerin überliefert wurden, sind neben ihrer sprachlichen und auch privaten Eindringlichkeit ideale Belege über die Zeitläufte.
Sie hat so viele Phasen der deutschen Geschichte erlebt und dokumentiert. Das Kaiserreich und sein Ende in einem furchtbaren Krieg, die Nachkriegsjahre und die Hoffnung auf eine bessere Zeit, die zur produktivsten der Künstlerin werden sollten. Dann aber das Ende der individuellen Freiheit durch die Machtergreifung der Nazis. Eine Zeit, in der sie und ihre Familie selbst am stärksten bedroht wurde. Schließlich dann der Zweite Weltkrieg – ein Zeit der totalen Vernichtung, die sie, wie sie einst hoffte, nie wieder über Deutschland würde hereinbrechen.
» Kollwitz – Ein Leben in Leidenschaft « (Arte Mediathek)
(Video laut Sender abrufbar bis 4. August 2017)
»Leider war ich ein Mädchen« wird Käthe gleich zu Beginn des Filmes zitiert. Die Auswahl der Textstelle ist programmatisch, denn die Autoren haben sich in dieser Dokumentation weniger als kunstgeschichtliche Analytiker der Kollwitz’schen Kunstwerke betätigt. Vielmehr zeichnen sie die Kollwitz als Frau, die ihren eigen Weg ging in einer frauenfeindlichen Zeit und gegen eine patriarchale Gesellschaft, die für Frauen nur einen Platz kannte: den an der Seite ihre Mannes. Der deutsche Kaiser persönlich verweigerte ihr einst eine Auszeichnung für ihr junges künstlerisches Werk – mit dem Hinweis darauf, dass sie ja eine Frau sei.
Und auch die Sujets, die sie später so berühmt machen sollten, haben weder dem Kaiser noch am Ende ihres Lebens den Nazis geschmeckt. Käthe Kollwitz hat den Alltag der Menschen nicht überhöht und verklärt, sondern verdichtet auf einen Realismus, der die Menschen in ihrer Lebendigkeit zeigt, aber auch in ihrem Leid.
Der Freiheitsdrang der jungen Käthe war, auch das zeigt der Film, nicht beispiellos. Es gab viele »Malweiber«, die in der Kunst ihre Freiheit suchten. Aber ihr Leben gilt bis heute als eine Beispiel für ein Leben, das Spuren hinterlassen hat. Als Vorbild und als Abbild. Zeitlebens hat Käthe Kollwitz sich selbst porträtiert und dabei auch hinterfragt. Parallel zu den Tagebüchern geben sie Zeugnis eines Lebens, das auch stark in dunklen Seiten verankert war. Käthe Kollwitz führte selbst einen eigene Kampf auch mit der eigenen Psyche. Stimmungskurven in ihren Tagebüchern geben dies wider.
Verluste wie der Tod eines Sohnes im Ersten Weltkrieg und später der ihres Mannes haben ihre Spuren hinterlassen. Am Ende hat sie nicht mehr an ein Ende des Weltkrieges geglaubt. Sie hat es um etwa 14 Tage verpasst: am 22. April 1945 starb Käthe Kollwitz.