»Eine Linienmaschine der Deutschen Lufthansa ist seit spätem Nachmittag in der Hand von Entführern.« So beginnt am 13. Oktober 1977 die Tagesschau. Der Deutsche Herbst hat seinen Siedepunkt erreicht. 91 Menschen sind in der Hand der Entführer. Fünf Tage später werden sie in Mogadischu befreit. Die SWR-Dokumentation »Die Geiseln von Mogadischu« versucht vor allem aufzuzeigen, was dies für die Überlebenden dieses Terroraktes bedeutet. Der Film ist bis zum 9. Oktober 2018 in der Mediathek von Das Erste abrufbar.
Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Es ist 40 Jahre her, doch es reicht ein Satz, eine Erinnerung oder der Blick auf ein Foto von damals – und schon rollen die Tränen. Vier Jahrzehnte nach der Entführung der Lufthansa-Maschine »Landshut« im Oktober 1977 haben Martina Treuter und Martin Rupps für den SWR eine Dokumentation über die damaligen Opfer dieses Terroraktes gedreht. Dabei legen sie den Fokus schnell auf das, was nach den fünf Tagen der Geiselnahme geschah – und was nicht geschah.
So berichten sie, wie der damalige Kopilot Jürgen Vietor nach der Erschießung des Piloten die Maschine alleine bis nach Mogadischu flog – dort wurde die Geiselnahme in einem Einsatz der GSG9 beendet. Den Geiseln wurde ein neues Leben geschenkt – das nicht alle so annehmen und gestalten konnten wie Vietor. Der flog schon Wochen später wieder eine Maschine – und musste für seinen »Jungfernflug« im zweiten Leben ausgerechnet wieder in die »Landshut« steigen. »Das war«, sagt er heute, »ganz sicher kein Zufall.«
Die Geiseln von Mogadischu (Das Erste Mediathek)
(Videos laut Sender abrufbar bis 9. Oktober 2018)
Von posttraumatischen Spät- und Langzeitfolgen wusste man damals noch herzlich wenig. Wie man mit den Geiseln nach ihrer Befreiung umgehen sollte schon gleich gar nicht. Politische Fehler räumt im Film unter anderem der damalige Staatssekretär im Innenministerium, der FDP-Politiker Gerhart Baum, ein. Man hätte eine koordinierende Stelle einrichten sollen, die sich mit den Opfern und ihrem Recht auf Hilfe und Entschädigung befassen hätte sollen. Auch der damalige Justizminister Hans-Jochen Vogel, ein enger Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmid, äußert sich im Film noch einmal, wieso der Staat im »deutschen Herbst« hart geblieben war. Wieso man also in Kauf nahm, dass alle Geiseln ermordet werden würden oder bei einer Befreiungsaktion ums Leben kommen würden.
Der neue Ton, den dieser 45 Minuten kurze Dokumentarfilm in der vielfach erzählten »Landshut«-Mediengeschichte einschlägt, ist der, wie man mit einem solchen einschneidenden Erlebnis in der eigenen Biografie umgehen kann. Die ehemalige Geisel Gabriele von Lutzau gehört zu jenen, die immer »darüber sprachen« – und sich so wohl ihr Leid von der Seele sprachen. Andere berichten von spät eingetretenen Krankheiten und Zusammenbrüchen – und von einem bis heute dauernden Kampf um die Anerkennung als Opfer.
Schließlich spielt auch die »Landshut« selbst eine Rolle in dieser »Geschichte im Ersten«. Ihre letzten Tage hat sie in Brasilien auf einem Schrottplatz für Flugzeuge gefristet. Der ehemalige Kopilot Vietor und eine damalige Stewardess reisen eigens dafür nach Südamerika, um die »Zeitzeugin« des deutschen Terrors noch einmal zu sehen. Mittlerweile ist gesichert, dass die Maschine restauriert und in Deutschland als Mahnmal präsentiert werden wird.
»Das Leben geht weiter.« Das sind die letzten Worte des Filmes. Das sind auch die üblichen Worte, die sich Überlebende sagen nach traumatischen Erlebnissen. Doch das Leben verläuft auch in Schleifen und immer wieder geschehen Ereignisse, die man einst überwunden glaubte. Terror ist 40 Jahren nach »Mogadischu« allgegenwärtig.