Was weiß das Kino, was wir nicht wissen? Diese Frage hat der Film- und Medienkritiker Rüdiger Suchsland seinem Dokumentarfilm »Hitlers Hollywood« vorangestellt. Und mit den gleichen Worten beschließt er auch eine fulminante Werkschau über 1000 Filme aus »1000 Jahren Nazi-Herrschaft«. Am Montagabend als Erstausstrahlung bei Arte.
Arte, 23:35 Uhr: Hitlers Hollywood
Der im Februar 2017 auch in den deutschen Kinos gezeigte Film ist eine kritische Sichtung, die bereits 2014 mit seinem ersten Film »Von Caligari zu Hitler« begonnen hatte. Nun zeigt Suchsland einen 100 Minuten langen Diskurs über die Kino-Propaganda unter Hitler und Goebbels. Ein Film zur genau richtigen Zeit, in der manch einer das Böse gerne wieder hinter Schönem verstecken würde.
Was, also, weiß das Kino, was wir nicht wissen? Die Frage erschließt sich, wenn wir sie dekonstruieren: Warum wissen wir so wenig über das Kino zwischen 1933 und 1945? Es gibt da die unverdächtigen Filme wie die Krimikomödie »Der Mann, der Sherlock Holmes war« (den der Autor auch zum Auftakt seiner Aufarbeitung) nimmt. Sie werden auch heute noch im Fernsehen gespielt. Und es gibt die »Verbotenen Filme« wie Veit Harlans perfides Machwerk »Jud Süß« oder die verführenden Bilderorgien von Leni Riefenstahl. Sie kann man nicht oder nur in kommentierter Form sehen. Und was gab es dazwischen? Was wissen wir über das Nazi-Kino mit seinen vielen, vielen Komödien, mit den Film-Operetten, den Soldatenfilmen, den Durchhaltestücke? Vergessen und verdrängt – aber wieso?
Rüdiger Suchsland bahnt sich einen erstaunlich sicheren Pfad durch das Filmschaffen im »Dritten Reich«. »Alles ein einziger Film«, kommentiert er an einer Stelle. Denn der Film war das Mittel der Kommunikation mit den Massen. Ein gleichgeschaltetes Deutschland, verlassen von seinen Stars und der Kreativelite und nur noch von einem Filmautor dominiert: von Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich, der die »Eroberung der Massen« mit den Filmbildern perfektionierte. Bald schon waren alle privaten Produktionsfirmen verboten und nur noch unter dem Dach der Ufa Film wurde gedreht – und verdreht. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes am laufenden Meter.
Suchsland findet die genau richtigen Ausschnitte aus den kilometerlangen Filmrollen. Er arbeitet Wesentliches heraus – zum Beispiel die Heroisierung des in der Masse Aufgehens bei der Riefenstahl. Aber er lenkt den Blick auch auf Hintergründiges. Auf das spezielle »deutsche Lachen« zum Beispiel. Ein verordnetes Lachen, das vielleicht deshalb so penetrant laut und offensichtlich falsch klang. Dabei benimmt sich der Autor, der ja auch ein Kritiker ist, nicht wie ein Racheengel. Er kann sich immer wieder mit Aspekten des Gezeigten arrangieren. »Gar nicht so schlecht«, »Lohnt auf den zweiten Blick« sind einige seiner Kommentare – dass ist ein faires Zugeständnis daran, dass in Hitlers Hollywood zwar alles ideologisch durchsetzt und konstruiert war, aber manches davon ästhetisch gut verpackt wurde.
Doch gerade in der Akzeptanz mancher Aspekte der Nazi-Filme – so etwa nach dem Motto »Aber schön waren die Bilder schon« – sieht der Filmemacher die größte Gefahr. Sie sind »Wölfe im Schafspelz« sagt er – und keinesfalls Sünden von gestern, über die man jetzt einfach mal schweigen sollte. Sein Film endet mit dem Verdacht, dass es nach 1945 eine »Stunde Null« für den deutschen Film nicht gegeben hat. Das könnte Thema eines dritten Filmes sehen. Er spielt dann womöglich hier und jetzt. In einer Zeit, in der sich ein Lehrer der Geschichte vor eine grölende Masse Mensch stellt und von der Herrlichkeit deutscher Kultur fabuliert, aus der man die Winzigkeit des Abartigen ausblenden kann.
Propaganda wirkt. Auch mehr als 70 Jahre nach ihrem Abschalten. »Hitlers Hollywood« zeigt, wohin Nostalgie führen könnte.