Das, was der junge Wuppertaler Sebastian in den Jahren 2014 bis 2017 erlebt hat, lässt sich nicht in 30 Minuten erzählen. Die Kurzdokumentation »Sebastian wird Salafist« von Ghafoor Zamani versucht es dennoch und ergänzt damit den 180 Minuten langen TV-Film-Zweiteiler »Brüder«. Der SWR zeigt die Dokumentation, für die man sich aber wesentlich mehr Zeit gewünscht hätte, noch bis 15. Dezember 2017 in der Mediathek des Senders.
Ghafoor Zamani, der Ich-Erzähler der Doku »Sebastian wird Salafist«, ist ein Deutscher mit afghanischen Wurzeln. Schon im Alter von fünf Jahren musste er den Koran lesen. Nun berichtet er in einer drei Jahre dauernden Langzeitbeobachtung, wie ein Wuppertaler, der zu Beginn 16 Jahre alt ist, zunehmend in salafistische Kreise abrutscht. Eigentlich müsste der Film heißen: »Ghafoor und Sebastian werden Salafisten«, denn anscheinend hat der Erzähler, der auch die Kamera führt, fast uneingeschränkten Zugang zu Gebetsräumen und sogar zu geheimen Treffen. Immer wieder einmal gibt er im Film an, dass er auch angesprochen wurde, Salafist zu werden. Selbst der zwischenzeitlich verurteilte Islamist Sven Lau agiert vor Zamanis Kamera freundlich und angstfrei.
Sebastian wird Salafist (SWR Mediathek)
(Video laut Sender abrufbar bis 15. Dezember 2017)
Szene aus »Sebastian wird Salafist« © SWR
Welche Rolle Ghafoor Zamani spielt und wie er das Vertrauen seines Protagonisten erwarb, bleibt leider ungenannt. Dies ist ebenso der kurzen Dauer dieses Filmes geschuldet, wie auch die ausführliche Beschreibung des Prozesses, den der junge Mann im Zentrum der Beobachtung durchmacht. Die letzten zehn Minuten des Filmes sind leider eher ein Galopp durch eine Entwicklung, die Sebastian, nachdem er sich an der Schwelle zum Salafismus befand, wieder zurück in die Nähe seiner Eltern und in ein hoffentlich helleres Leben führt. Vom Aussteigen träumt er noch immer – aber diesmal auf den Malediven und »einfach nur den Bauch raushängen lassen«. Tourismus statt Salafismus – ein Tausch, der in Ordnung geht.
In den ersten 20 Minuten allerdings bietet der Film erstaunliche Einblicke in eine Szene, die man eben sonst nur aus den Medien und aus Berichten Dritter kennt. Wie geraten junge Menschen tatsächlich auf der Suche nach Sinn und einem Platz im Leben in dubiose Kreise. Für Sebastian besteht das Leben als »Bruder« zu Beginn wohl aus Stolz, Lachen und Glück. Er wird aufgenommen in einen Kreis von Mitbrüdern, die ihn wertschätzen. Er raucht mit ihnen die Shisha und diskutiert anscheinend den Sinn seines Daseins. Irgendwann erreicht Sebastian den Punkt, an dem er sich nur noch Hamza nennt und sich sogar beschneiden lässt. Das ist der Moment, in dem Sebastian auch von seinen Eltern nicht mehr erreicht wird. Erstaunlicherweise darf Ghafoor Zamani weiter mit ihm filmen. Und nun beginnt eine Wende.
Sebastian ist zweifelsohne intelligent. Er kann sich vor Zamanis Kamera in ganzen Sätzen äußern und anscheinend kann er sich und seine Situation reflektieren. Angestoßen und zugleich abgeschreckt von den Ereignissen um den IS und um den Salafisten Sven Lau überdenkt er sein Abdriften – und findet einen Weg zurück. Das kommt leider, wie bereits erwähnt, viel zu kurz. Gerade dies aber wäre hilfreich gewesen für alle, die selbst um ihre Kinder fürchten oder die einfach nur islamistischen Blendern Paroli bieten wollen. Ghafoor Zamani, der ein erfahrener Reporter und Filmemacher ist, gelingt hier ein seltener Blick in eine sonst verborgene Welt.
Jemand, der im dokumentarischen Film auf »die Wahrheit« hofft und in der Illustration der Realität eher eine »unterhaltsame« Erzählform sieht, muss es schmerzen, dass der zuvor gesendete TV-Film sechs Mal länger ist als diese Dokumentation. Es müsste, keine Frage, wenn nicht anders herum, dann doch viel ausgeglichener sein.