Mit sieben Stunden und in einer kürzeren Fassung von 3,5 Stunden hat Filmemacher Hermann Pölking-Eiken noch einmal alles, was die Archive hergeben in seinen Kino-Dokumentarfilm »Wer war Hitler« gesteckt. Im Anschluss an eine DOK Premiere stand der Filmemacher Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms Rede und Antwort zu diesem ehrgeizigen Projekt. Das immense Interesse an dem Kompilationsfilm war überraschend. Mit dabei im Gespräch war auch der Historiker Prof. Gerhard Hirschfeld.
Der neue Ansatz des Regisseurs war, dies spannende Material hauptsächlich mit Zitaten aus zeitgenössischen Quellen und Zeitzeugen zu unterlegen und beispielsweise auf Interviews mit Experten oder Re-Enactment ganz zu verzichten. Ein Kommentar wird nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Schon bei der Begrüßung betonte Hermann Pölking die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg, die im Haus des Dokumentarfilms angesiedelt. Viel zu Wenige würden dieses hervorragende Archiv bisher kennen.
Nach der Vorführung gab es ein Filmgespräch von Kay Hoffmann mit dem Regisseur sowie dem ausgewiesenen NS-Historiker Prof. Gerhard Hirschfeld, langjähriger Leiter der Bibliothek für Zeitgeschichte und Professor an der Universität Stuttgart. Eine Motivation für “Wer war Hitler” war die Tatsache, dass es trotz der Popularität des Themas im Fernsehen es schon sehr lange keinen Kinodokumentarfilm über Hitler gab. Hinzu kam die Möglichkeit, völlig neues Material und neue Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung einfließen zu lassen.
Herman Pölking hat sich schon sehr lange auf das Thema deutsche Geschichte und die NS-Zeit spezialisiert und dazu einige Fernsehfilme produziert. Er selbst bezeichnet sich gern als Filmarchäologe und hat für diesen Film sehr tief gegraben. Er sichtete in mehr als 120 Archiven insgesamt 850 Stunden Material, von denen er 100 Stunden digitalisieren ließ. Sein Rohschnitt hatte noch eine Länge von 14 Stunden, die Festivalfassung 7,5 Stunden und nun die Kinofassung mit 3 Stunden und 15 Minuten. Es war also ein langsamer Prozess der Verdichtung und der Auswahl, welche Aspekte in dem Film überhaupt angesprochen werden konnten. Hinzu kam die Auswahl der zitierten Quellen, die möglichst mit den Bildern korrespondieren sollten oder eben gerade einen Kontrast dazu darstellen sollten.
Eine der für ihn stärksten Stellen im Film sei die Hochzeitsreise eines frisch vermählten Ehepaares in einem Kajak auf der Oder, die in den Tagen des deutschen Angriffs auf Polen im September 1939 stattgefunden hat. Das Ausgangsmaterial sei fast komplett stumm gewesen und hätte aufwändig nachvertont werden müssen. Aus den Konzentrationslagern habe er praktisch alle Aufnahmen verwendet, die heute auf dem Markt verfügbar sind. Dies Thema sei ihm sehr wichtig gewesen.
Der Film konnte bereits in 32 Länder verkauft werden und er habe sehr spannende Diskussionen mit Jugendlichen aller Schularten in den Schülervorführungen gehabt. Diese hätten sich vorher oft kaum ernsthaft mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigt und ganz neue Details in dem Material entdeckt.
An dem Auswahlprozess und der Gestaltung knüpfte ein Kritikpunkt von Prof. Hirschfeld an. Vieles im Film sei richtig dargestellt, stimme und er war beeindruckt von der Fleißarbeit mit dem Material, die allerdings auch zu einer gewissen Oberflächlichkeit verleite. Aber ihm fehle die Kontextualisierung sowohl der Bilder als auch der Zitate. So hätten die Zuschauer keine Möglichkeit, sie richtig einzuordnen und zu bewerten. Denn es sei ja schon wichtig, ob z.B. jemand aus dem Umfeld des Führers etwas in den 1930er Jahren gesagt habe oder erst in den 1950er Jahren, als der weitere Verlauf der Geschichte bekannt gewesen sei und eine kritische Haltung der eigenen Rehabilitierung dienen konnte.
Eine Zuschauerin war sehr begeistert von dieser Collage von Bild und Text und fand den Film trotz seiner Länge kurzweilig. Ein Zeitzeuge im Publikum, der Ende des Krieges 15 Jahre war, bestätigte, dass es genau so gewesen sei wie im Film gezeigt. Allerdings stelle er sich immer wieder die Frage, wie es überhaupt zu dem Erfolg von Hitler und der Nationalsozialisten kommen konnte und ihren unzähligen Verbrechen. Ein anderer kritisierte, dass im Film der Widerstand – insbesondere der Sozialdemokraten und Kommunisten – nicht genügend thematisiert wurde. Daran schloss sich eine lebhafte Diskussion an, wie viel Widerstand es gegeben habe und was man als solchen bezeichnen könne. Für einen Filmemacher stellt sich zusätzlich das Problem, dass es davon überhaupt keine bewegten Bilder gibt und er sein Konzept der historischen Quellen hätte verändern müssen. Dass selbst vergleichbar harmlose Aufmüpfigkeit mit Berufsverbot geahndet werden konnte, brachte eine andere Zuschauerin am Beispiel ihres Vaters ein.
Herman Pölking erwähnte, dass das System stark auf Terror und Einschüchterung aufgebaut gewesen sein. Auf der anderen Seite versprach es wirtschaftlichen Aufstieg und das Gefühl, zur Gemeinschaft zu gehören. Eine Zuschauerin stellte fest, dass der Film sehr deutlich mache, mit wie viel Lügen gearbeitet wurde. Gerade auch die Privataufnahmen zeigten, wie durch inszeniert der Alltag im ‚Dritten Reich’ sein konnte mit der Fahnenbeflaggung ganzer Städte oder den vielen Paraden und Aufmärschen. Für Pölking war Hitler ein guter Schauspieler, der eine gewisse Rolle übernahm. Immer wieder schlug er einen Bogen zur Aktualität und der wachsenden Bedeutung von rechtspopulistischen Bewegungen in Europa, denen man sich entgegen stellen müsste. Für ihn sei es beispielsweise unmöglich, dass einige immer wieder den Holocaust leugnen würden. Dagegen müsste man strafrechtlich vorgehen. Mit seiner Kompilation wolle er einen eigenen Blick auf die Zeit ermöglichen.