KAy Hoffmann, Thomas von Steinaecker und Goggo Gensch vor dem Atelier am Bollwerk am 31.10.2022

So war die DOK Premiere von „Werner Herzog – Radical Dreamer“

Thomas von Steinaeckers Dokumentarfilm „Werner Herzog – Radical Dreamer“ war in Stuttgart (27.10.22) und Ludwigsburg (31.10.22) gut besucht. Der Ausnahmeregisseur Herzog, der in den USA Kultstatus hat, genießt in Deutschland noch immer großes Ansehen.

Thomas von Steinaecker drehte bereits preisgekrönte Dokumentarfilme über musikalische Visionäre wie Karlheinz Stockhausen, John Cage und Richard Strauss. Nun nähert er sich dem mittlerweile 80-jährigen Werner Herzog an, der noch immer sehr aktiv ist: Allein 2022 erschienen zwei Dokumentarfilme sowie eine Autobiografie. Für viele junge Filmschaffende ist er ein Vorbild; die Plätze an seiner Filmschule sind heiß begehrt.

Begeisterung ist ungebrochen

Mit 15 Jahren stieß Thomas von Steinaecker zufällig im Nachtprogramm auf „AWerner Herzog hat einen Stein in der Handguirre, der Zorn Gottes“ (1972). Seither bewundert er Werner Herzog, wie er bei der vom Haus des Dokumentarfilms veranstalteten DOK Premiere schildert: „Der Film ließ mich ratlos, verstört, aber auch sehr fasziniert zurück. Das bezog sich nicht nur auf Klaus Kinski, der fast schon außerirdisch wirkte, sondern auch auf die Art, wie es gedreht war.“ Kurz darauf las er „Vom Gehen im Eis“. Das Buch beeindruckte von Steinaecker noch mehr als „Aguirre“: „Der Schriftsteller Werner Herzog war durchweg in meinem Leben präsent. Außerdem gab es die ganzen verrückten Geschichten und Mythen. Da fragt man sich permanent: ‚War das wirklich so und welcher Mensch steckt eigentlich dahinter?‘“

Die unmögliche Biografie

In den letzten Jahren versuchten sich einige an einer Herzog-Biografie. Bislang galt Herzog als unnahbar, unberechenbar und cholerisch. Seine Lebenserinnerungen verschriftlichte er lieber selbst: Erst diesen August erschien seine Autobiografie als Buch mit dem Titel „Jeder für sich und Gott gegen alle“ im Hansa Verlag.

Thomas von Steinaecker ließ sich davon nicht abschrecken und sendete Herzogs Produktionsfirma, verkörpert durch dessen Bruder Lucki, eine E-Mail und zwei seiner eigenen Romane zu. Damit überzeugte er offenbar: „Wichtig war ihm, dass es nicht so eine – er hat das immer so genannt – ‚Schlüssellochgeschichte‘ wird. Aber das kam für mich eh nie in Frage. Ich bin ernsthaft am Werk interessiert und möchte wissen, welche Geschichten sich dahinter verbergen.“ Herzog gefiel von Steinaeckers Arbeit gut und er mischte sich nicht in die Regieführung ein. Als er dieses Frühjahr den Rohschnitt sah, sagte Herzog im Anschluss: „Sehr schön, jetzt schauen wir es gleich noch einmal an.“

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Zum Mythos Werner Herzog

Von Steinaecker lag es am Herzen, die humorvolle Seite des Filmemachers zu zeigen. Sein spezieller Sprachduktus lässt seine Sätze häufig wie in Stein gemeißelt erscheinen. Das dürfe man nicht alle so ernst nehmen, so von Steinaecker im Filmgespräch, und auch die mythische Aura Herzogs habe sich in der näheren Zusammenarbeit nicht bestätigt. „Der Werner ist einfach der Werner.“ Bei öffentlichen Auftritten mit Herzog wurde er aber auch Zeuge von dessen speziellem Humor. Da bezeichnet er schon einmal 95 Prozent aller Filme auf der Berlinale als Schrott. Nur seine Filme seien toll. „Das ist typisch Werner“, findet von Steinaecker. „Niemand weiß dann mit so einer Aussage umzugehen. Journalisten nehmen sowas häufig todernst. Falls man ihn in solchen Momenten aber skeptisch anschaut, merkt man, dass es sich dabei vielmehr um eine Art bayerischen Schmäh handelt.”

Goggo Gensch und Thomas von Steinaecker vor dem Atelier am Bollwerk
Kay Hoffmann, Goggo Gensch und Thomas von Steinaecker vor dem Atelier am Bollwerk
Goggo Gensch und Kay Hoffmann, Kuratoren der DOK Premiere, mit Filmemacher Thomas von Steinaecker vor dem Atelier am Bollwerk (Fotos: Günther Ahner/HDF)

Annäherung an den wahren Werner Herzog

Für den Dreh kehrte Herzog unter anderem zum Haus seiner Kindheit im bayerischen Sachrang zurück. Auf ein Betreten verzichtet er jedoch. „Das wäre nicht richtig“, sagt Herzog in einer der vielleicht stärksten Szenen von „Radical Dreamer“. Thomas von Steinaecker berichtete dazu: „Das hatte ich mir alles ganz toll vorgestellt, dass wir da gemeinsam hineingehen und er drinnen etwas von früher erzählt. Es war dann aber viel besser, dass er diesen einen Satz sagt. Das sagt viel mehr über ihn aus.“ Szenen wie diese lassen das Publikum verstehen, warum der Film damit beworben wird, er käme Herzog „erstaunlich nahe“.

Steinaecker hat dazu verschiedene Meinungen gehört. Einige finden es toll, die anderen „irgendwie banal, weil man ja dieses Bild eines pathetischen Regisseurs von ihm hat, der mit Tremolo in der Stimme von Kinski und sich und dem Urwald redet. An diese Art hat man sich gewöhnt. In meinem Film sieht man Herzog jedoch auch als einen etwas älteren Mann, der angesichts seiner alten Heimat die Sentimentalität und Melancholie nicht verbergen kann. Das war dann mein Begriff von Wahrheit.“

Fremdmaterial machte den Film teurer als gedacht

Thomas von Steinaecker wusste, ohne fremde Filmsequenzen würde er der populärkulturellen Bedeutung Herzogs nicht gerecht. Dieser hatte bereits Auftritte bei Serien wie „Die Simpsons“, „Rick and Morty“ und dem „Star Wars“-Spin-off „The Mandalorian“. Diese wollte von Steinaecker zeigen: „Das ist Teil der Figur Werner Herzog. Da hat es dann schnell große Dimensionen angenommen: Eine Minute aus ‚Jack Reacher‘ kostet beispielsweise 20.000 Euro.“

Thomas von Steinaecker via Zoom
Goggo Gensch und mas von Steinaecker
Filmemacher Thomas von Steinaecker stand dem Publikum Rede und Antwort. Die Gespräche führten Kay Hoffmann (links) und Goggo Gensch vom Haus des Dokumentarfilms. (Fotos: Elisa Reznicek/HDF und Günther Ahner/HDF)

„Werner Herzog – Radical Dreamer“ lebt nicht zuletzt von Archivmaterial. Es fährt beispielsweise ein unbesetztes Auto am Drehplatz von „Auch Zwerge haben klein angefangen“ im Kreis und der junge Herzog steht auf dem Dach und schafft es für einige magische Sekunden, sich aufrecht zu halten. Diese Szenen stammen von Herzogs langjährigen Kameramann Thomas Mauch. Dieser hatte die Angewohnheit, die Kamera nach Drehschluss noch weiterlaufen zu lassen. So blieb kein Meter kostbaren Celluloids unbelichtet. Das betrifft auch den berühmten Wutausbruch Klaus Kinskis am Drehort von „Fitzcarraldo“ (1982).

Amerikanische Produktionsfirmen hatten großen Einfluss

Werner Herzog

Nach diesem Film ist in den Augen von Thomas von Steinaecker „für die meisten Menschen ist hierzulande einfach Schluss.“ Die Dokus, für die Herzog in Amerika bekannt wurde, kamen in Deutschland überhaupt nicht ins Kino, dabei war zum Beispiel „Grizzly Man“ (2005) in den USA ein großer Boxoffice-Hit. Das erklärt auch, warum die Interviewsequenzen mit Herzog in englischer Sprache zu hören sind: „Werner und ich waren sehr für Deutsch, da bei der Übersetzung immer Zwischentöne verloren gehen. Allerdings hat eine amerikanische Produktionsfirma 50 Prozent der Finanzierung übernommen. Dort ist Werners Stimme sein Markenzeichen und wenn die wegfällt, wäre das amerikanische Publikum enttäuscht.“

Für Finanzierung und Vermarktung des Films waren außerdem Interviews mit Stars wie der australisch-US-amerikanischen Schauspielerin und Produzentin Nicole Kidman und dem aus England stammenden Darsteller Robert Pattinson enorm wichtig: „Die Hollywoodschauspieler schmücken sich oft mit dem Ausnahmeregisseur Werner Herzog. Im Gegensatz zu Christian Bale, der viel Substanz im Interview hatte, fand ich die Interviews mit Kidman und Pattinson ziemlich nichtssagend. Ich hatte eher den Eindruck, man möchte sich aufwerten und sich eine Aura des Enigmatischen verleihen“, so Thomas von Steinaecker bei der DOK Premiere.

Lust auf mehr Filme von Herzog

Wer mit Herzogs Werk und Biografie gut vertraut ist, wird einige der im Film erzählten Anekdoten bereits kennen. Thomas von Steinaecker präsentiert ein gelungenes Portrait. Seinem Vorsatz, keinen Film über Werner Herzog im Stil von Werner Herzog zu machen, bleibt er treu. Gleichzeitig macht „Werner Herzog – Radical Dreamer“ Lust, sich dessen Œuvre noch einmal genauer zu widmen. Der bis zum 26.11.22 in der Arte-Mediathek verfügbare Dokumentarfilm „Die innere Glut – Requiem für Katia und Maurice Krafft“ (2022) sei in diesem Sinn jedem wärmstens ans Herz gelegt.

(Maggie Schnaudt)

Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).

Thomas von Steinaeckers “Werner Herzog – Radical Dreamer“ (3B-Produktion in Kooperation mit Spring Films und Hot Doc Partners sowie ZDF. In Zusammenarbeit mit Arte. Förderung: DFFF, FFA und FFF Bayern) war am 27. Oktober 2022 im Atelier am Bollwerk Stuttgart zu sehen. Durch Abend und Talk führte Goggo Gensch. Am 31. Oktober 2022 war er im Caligari in Ludwigsburg zu sehen. Hier moderierte Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms. Thomas von Steinaecker wurde online zugeschaltet.

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Picture of Maggie Schnaudt
Maggie Schnaudt war für die Online-Redaktion vom Haus des Dokumentarfilms zuständig und unterstützte HDF-Veranstaltungen wie den Roman Brodmann Preis oder DOKVILLE.
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