Mit über 30 Spiel- und Dokumentarfilmen ist die 73. Berlinale ein starker Jahrgang für LGBTIQ-Themen. „Kokomo City“ von D. Smith erhielt den Panorama-Publikumspreis. In der Doku sprechen afro-amerikanische trans* Sexarbeiterinnen über ihren Alltag.
„Kokomo City“ über vier trans* Sexarbeiterinnen
In eindrucksvollen Interviews und Begegnungen erzählen vier Transfrauen aus New York und Georgia kompromisslos von ihren Erfahrungen. Regisseurin D. Smith filmte ihren Debütfilm in Schwarzweiß und schnitt teilweise rhythmisch zum Soundtrack. Als Musikproduzentin greift sie auf ein breites Song-Repertoire zurück; einige Passagen erinnern an Musikvideos. Smith experimentiert mit grafischen Elementen und dem Film ist ihre quirlige Gestaltungsfreude anzumerken.
Eine schwerwiegende Entscheidung
Im Gesprächsformat „Teddy Talks“, dem Austauschforum für queere Filmschaffende, sprach D. Smith detailliert über ihre äußerst erfolgreiche Zeit im Musikbusiness . Sie gewann einen Grammy für das Album „The Carter III“ des Rappers Lil Wayne und arbeitete mit Katy Perry – damals noch als männlich gelesener Musikproduzent . Die Entscheidung, sich als Transgenderfrau zu definieren, beendete ihre Karriere schlagartig. Sie bekam keine Aufträge mehr, musste ihr Studio verkaufen und lebte eine Weile ohne Einkünfte bei Freunden. In dieser Zeit lernte sie die trans* Sexarbeiterinnen kennen und freundete sich mit ihnen an. Mit dem Handy filmte sie ihre ersten Aufnahmen. Sie gefielen einem Freund, der ihr eine Kamera kaufte. Für den Schnitt nutzte D. Smith das Programm iMovie. Während der Dreharbeiten zum Film stolperte sie über eine fast 90 Jahre alte Aufnahme mit dem Titel „Sissy Man Blues“. Sie stammt von dem nahezu vergessenen afro-amerikanischen Bluessängers Kokomo Arnold. Sein Name inspirierte die Regisseurin zum Filmtitel „Kokomo City“.
Wachsende Akzeptanz für Menschen mit Transidentität
Immer wieder betonte D. Smith während des Gesprächs, dass gerade die Zeit sei, in der Transmenschen sich zum ersten Mal jenseits von Sexualisierung und Stereotypisierung selber darstellen können. Mit ihrem Film ist sie ein gutes Beispiel für die wachsende Akzeptanz von Transthemen. Sie werden auf den großen Festivals programmiert und finden viel Zuspruch. So feierte „Kokomo City“ im Januar 2023 beim Sundance Film Festival seine Premiere und wurde bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Sektion Panorama vorgestellt. Anfang März wird er beim Miami Film Festival und danach beim renommierten South by Southwest Film Festival zu sehen sein.
Preissegen für Filme mit Transthematik
Zum Abschluss der Berlinale erhielten einige Filme mit Transthematik Auszeichnungen. Thea Ehre bekam den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung als Transfrau im fiktionalen Wettbewerbsfilm „Bis ans Ende der Nacht“. Sie widmete ihren Preis der Transcommunity. Als jüngste Gewinnerin, die jemals bei der Berlinale ausgezeichnet wurde, erhielt die neunjährige Sofia Otero einen Silbernen Bären. In dem spanischen Coming-Of-Age Film „20.000 especies de abejas“ spielt sie ein achtjähriges Mädchen auf der Suche nach seiner geschlechtlichen Identität.
Der experimentelle Dokumentarfilm „Orlando, ma biographie politique“ des Franzosen Paul B. Preciado erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Teddy-Award für den besten Dokumentarfilm. Die Jury begründete ihre Entscheidung mit folgenden Worten und fasste damit auch den Anspruch des diesjährigen Festivals zusammen. „Der Film, den wir heute auszeichnen, hat die kollektive Vorstellungskraft angeregt und dazu aufgerufen, eine alternative Zukunft für geschlechtsuntypische und geschlechtstranszendente Menschen überall zu schaffen. Der Film nimmt uns mit auf eine Reise der Metamorphosen, die uns von einem Ort der Komplexität und nicht der Homogenität führt.“