Roman Brodmann Rede von Alice Agneskirchner
Am 27.4.23 wurde der Roman Brodmann Preis für den politischen Dokumentarfilm vom Haus des Dokumentarfilms in Berlin verliehen. Die Rede anlässlich der Vergabe hielt die renommierte Filmemacherin Alice Agneskirchner (u. a. KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA. DIE GREGORS, 2022). Nachfolgend die Rede im Wortlaut.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Ulrike Becker,
vielen Dank für Ihre Einladung, die mir die Gelegenheit und die Ehre gibt, diese Worte an Sie alle zu richten.
Wenn viele Dinge glücklich zusammenkommen, schaffen wir Dokumentaristinnen und Dokumentaristen es, Zeitdokumente zu erschaffen. Aber was bedeutet das? Das bedeutet nach meinem Dafürhalten, sich mit wachen Augen, offenem Herzen und klugem Verstand in unserer Welt zu bewegen. Wenn man die Berufung Dokumentarfilme zu machen in sich spürt, wird man bald überall Geschichten sehen.
Wann oder wodurch wird aber diese Wirklichkeit – in unserem Fall – zu einem filmischen Thema? Wodurch erkennen wir, dass in einem tatsächlich stattfindenden Ereignis oder im Alltag eines Menschen etwas Besonderes oder etwas Allgemeingültiges liegt? Ist es Instinkt, Intellekt, Zufall, Recherche, Erfahrung, Glaube, Hoffnung? Ich denke, es ist zu 50 Prozent eine Mischung aus diesen Faktoren und zu 50 Prozent der aufgewandte Fleiß, den der Prozess einen dokumentarischen Film herzustellen erfordert. Viele lose Recherchefäden müssen verfolgt werden, um sich in ein Thema vertiefend einzuarbeiten, diverse Lektüren, unzählige Telefonate – und dann Recherchebesuche. Je nach Film begegnen wir im Vorfeld vielen, manchmal mehreren hundert Menschen. Einige eignen sich als Interviewpartner, einige wenige haben das Charisma, einen ganzen Film zu tragen. Das gilt es im Vorfeld herauszufinden. Das erfordert Fingerspitzengefühl, das Öffnen des eigenen Herzens, um Gespräche auf Augenhöhe zu ermöglichen, sowie Engagement und Glaubwürdigkeit in uns und zu unserem Beruf. Nur wenn wir das Vertrauen der echten Menschen gewinnen, die ja nur durch unsere Kamera zu Film-Protagonisten werden, kann es ein guter dokumentarischer Film werden.
Heute wird zum zweiten Mal der Roman Brodmann Preis vergeben – ich bin genauso wie Sie darauf gespannt, wer ihn erhalten wird, bin mir aber sicher, er wird an einen Film gehen, in dem der Vorbereitungsprozess, der dem Herstellen des Filmes voran ging, besonders gut gelungen ist.
Roman Brodmann, dem Namensgeber dieses Preises, ist dies besonders häufig und ganz wunderbar gelungen. So sehen wir das – heute, im Rückblick. Aber seine Filme haben in der Zeit ihrer Entstehung den damaligen Alltag beobachtet, manchmal besonderen Alltag, manchmal alltäglichen Alltag und manchmal, wie unter einem Brennglas, beides zusammen – wie es ihm mit dem dokumentarischen Meilenstein DER POLIZEISTAATSBESUCH gelang.
Ich habe diesen nur 45 Minuten langen Film 1988 in einer Wiederholung im Fernsehen gesehen, zu einer Zeit, als es jeden Abend genau drei Kanäle gab: ARD, ZDF und ein Drittes Regionalprogramm. Ich war 21 Jahre alt, hatte gerade ein Angebot als Regieassistentin beim Theater abgelehnt, weil ich beschlossen hatte: Ich will Dokumentarfilmerin werden. Gespannt blicke ich auf die gefilmten historischen Ereignisse, die mir noch immer genau im Gedächtnis geblieben sind. Alles in mir bestätigte mir: Wenn es möglich ist, solche Dokumentarfilme zu machen, dann liege ich mit meinem Berufswunsch richtig.
1967 hatte sich Roman Brodmann entschieden, die Ereignisse während des Besuchs des persischen Schahs Reza Pahlavi – also des damaligen diktatorischen Staatsoberhauptes des heutigen Iran – filmisch zu begleiten. An einigen Orten, z. B. in einem Kinderarten, bei der Polizei-Motorradstaffel des Bundespräsidenten oder in der Fabrik, die den roten Teppich herstellt, erleben wir die Vorbereitungen für den Besuch, an anderen Orten sind wir live dabei. Die Recherchetelefonate, um im Vorfeld zu erfahren, was an mehr als 20 Orten geschehen wird, und die nachfolgenden Telefonate, um alle Drehgenehmigungen zu erhalten, müssen unzählige gewesen sein. Und dann spielt sich vor der Kamera das Ende der alten Bonner Republik ab, in der die Gattinnen der damaligen Amtsträger für den Schah zur Begrüßung den Hofknicks einüben, zugleich mit dem Beginn der modernen Bundesrepublik, in der die Berliner Studenten nicht nur gegen den Schah, sondern gegen die Obrigkeit demonstrieren. Tragischerweise wird Benno Ohnesorg, einer der Demonstranten, von einem Polizisten direkt neben dem Kamerateam von Brodmann erschossen, den Schuss und unmittelbar danach – den toten Ohnesorg – haben sie aufgezeichnet. Nicht nur, aber auch dadurch wurde der Film ein außergewöhnliches Zeitdokument. Als Brodmann in der Redaktion ZEICHEN DER ZEIT beim SDR diesen Film begann, konnte keiner wissen, dass dieser Film eine Zeitenwende einfangen wird – und für die Entscheidung den Film zu machen, hat es keine Rolle gespielt. Die Redaktion hat Roman Brodmann und seinem Gespür vertraut.
Ich stelle mir gerne vor, dass in der Redaktion ZEICHEN DER ZEIT eine kleine verschworene Gemeinschaft von Dokumentaristen gearbeitet hat; dass untereinander ein Wir-Gefühl entstand, das dann auch zur STUTTGARTER SCHULE gehörte. Manchmal vermisse ich so etwas in unserer heutigen Vielzahlt an TV-Sendern, Streamingplätzen und dem ständig neuen Überlebenskampf von Projekt zu Projekt.
Ich trauere der alten „einfacheren“ TV-Welt aber nicht nach und ich sehe in der Fernsehwelt der Zukunft, den vielen Streamingplattformen und Mediatheken keinen Nachteil, im Gegenteil. Um aber als Dokumentaristin, als Dokumentarist in der Vielzahl erkennbar zu bleiben, um dauerhalt eine Handschrift, eine filmische Karriere, wie eben die Dokumentaristen der STUTTGARTER SCHULE entwickeln zu können, bedarf es der Nennung: Der Nennung unserer Namen. Aber: Die Namen von uns Dokumentarfilm-Regisseurinnen und -Regisseuren, werden in den Filmankündigungstexten der ARD-Mediathek bei den dokumentarischen Filmen nicht genannt. Wir, die wir heute die Zeitdokumente für die Zukunft herstellen, werden nicht genannt. Dabei wäre es ganz einfach. Wir alle liefern mit jedem Film an die Sender vollständige Schnittlisten, Mitwirkenden-Listen, Kurzinhaltsangaben und lange Inhaltsangaben. Platz gäbe es im Internet genug. Bei Politikern, Musikern, Malern und allen anderen Künstlern ist es auch selbstverständlich ihre Namen zu nennen, wenn sie etwas Professionelles geschaffen haben.
Roman Brodmann trägt seinen großen Namen, nicht nur, weil er tolle Filme gemacht hat, das steht außer Frage, sondern auch, weil er durch seinen Namen mit diesen Filmen identifiziert wurde. Ich denke, Roman Brodmann wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich im Rahmen meiner Roman Brodmann Rede in seinem Namen dafür plädiere, dass in der nun erfolgreich zusammengelegten Mediathek der ARD unsere Namen regulär in die schriftlichen Programminformationen zu unseren dokumentarischen Filmen aufgenommen werden. Auch unter uns wird es künftige Roman Brodmanns geben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Abend.