Am 7.11. und 14.11. laufen sieben Dokumentarfilme in den Kinos an. BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS THOMAS MANN, DIE WEISHEIT DES GLÜCKS, KREIS DER WAHRHEIT, NO OTHER LAND, JOHATSU – DIE SICH IN LUFT AUFLÖSEN, ALMAR – DER RUF DES JAKOBSWEGES und SCHWARZER ZUCKER, ROTES BLUT.
Regie: André Schäfer
Kinostart: 7.11.24
In erheblichem Zeitabstand, in den Jahren 1910 –13 und 1950 –54, arbeitete Thomas Mann an seinem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, der mehr ist als nur ein vergnüglicher Schelmenroman (in diesem Gestus mehrfach verfilmt) oder die Parodie eines Entwicklungsromans, sondern auch Gesellschaftssatire und Travestie antiker Mythen: Es ist der Roman eines fragwürdigen Künstlertums. Mann setzte sich in einem verklausulierten Subtext auch mit seiner versteckten Homosexualität auseinander. In hybrider Form inszeniert André Schäfer den Schriftsteller und sein Alter Ego Krull. Entstanden ist kein literaturwissenschaftlicher Filmessay, denn ausschließlich über historisches Material, Selbstaussagen Manns vor allem, rekonstruiert der Film eine private Geschichte in der Fiktion, die ein generelles (Selbst-)Schaubedürfnis verfolgt. Aus der Diskrepanz zwischen dem erzählenden Ich (das auch im Film spricht) und dem unmittelbar erlebenden Ich (in dem sich der Autor versteckt hält) resultiert, dass die berichteten Vorgänge – ob fiktiv oder real – und dass die leitmotivischen Linien, seien es Schönheit oder Liebe – ob fiktiv oder real – in ein märchenhaft schillerndes Licht getaucht werden. Ein Film, der der dichterischen Spielfreiheit mit teilnehmender Freude folgt.
Credits: „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“. Dokumentarfilm von André Schäfer. Drehbuch: André Schäfer. Kamera: Janis Mazuch. Schnitt: Fritz Busse. EFlorianfilm Nord in Koproduktion mit ZDF und in Zusammenarbeit mit Arte Deutschland. Im Verleih bei mindjazz pictures
Regie: Barbara Miller, Philipp Delaquis
Kinostart: 7.11.24
Ist eine friedliche Welt möglich? Gar eine glückliche Welt? Der bald 90-jährige Dalai Lama hat diese Vision. Lebt sie zwischen der tibetisch-buddhistischen Tradition und Werten einer westlich ausgerichteten globalisierten Welt. Kann eine Balance gelingen? „Frieden fällt nicht vom Himmel“. Sagt er. Und plädiert für ein Leben, das auf Mitgefühl gründet. Intensive Ansprache, beschwörungsgleich. Friedvolle Natur. Impulsive Metropolen. Menschengesichter in Großaufnahme. Ruhig in stummer Beredsamkeit. Sparsamer filmischer Gestus. Keine Gegenrede. Meditativ.
Credits: „Die Weisheit des Glücks“. Dokumentarfilm von Barbara Miller und Philipp Delaquis. Drehbuch: Barbara Miller und Philipp Delaquis. Kamera: Manuel Bauer. Schnitt: Isai Oswald und Mike Selemon. Eine Produktion von Barbara Miller, Philip Delaquis, und Manuel Bauer, Richard Gere und Regisseur und Drehbuchautor Oren Moverman. Im Verleih bei X Verleih.
Regie: Robert Hofferer
Kinostart: 07.11.24
Wie erinnert man heute die Shoah? Wie erinnern sich die Menschen, die die Shoah überlebt haben? Geschichte muss man kennen. Aus der Geschichte erwächst Verantwortung. Dieser muss man sich stellen. Im Alter von sieben und 14 Jahren wurden die Schwestern Helga Feldner-Busztin und Elisabeth Scheidebauer zusammen mit ihrer Mutter aus Wien in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Der Vater hingegen, ein Polizeiarzt, kam in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Robert Hefferer porträtiert die beiden Schwestern sorgsam. Gibt ihren Erinnerungen Raum. Beide teilen ihre Erlebnisse im Lager mit. Bedacht in ihren Äußerungen, genau bis zum Erschrecken, berichten von den Bedrängnissen des Lageralltags, vom subtilen Terror der Wachmannschaften. Hefferer sucht und findet Möglichkeiten, die Aussagen der beiden Schwestern zu vergegenwärtigen. Eine setzt Animationen ein, Splitscreens, lässt Künstlerinnen und Künstler sprechen. Weniger als Kommentar, nicht schlagwortartig, sondern in der Präsenz ihres künstlerischen Ausdrucks. Ein Streetart-Artist sucht einen malerischen Ausdruck, ein Bildhauer einen skulpturalen, eine Tänzerin transformiert die Erinnerungen der beiden Frauen in eine Choreografie, eine Sängerin übersetzt die Schrecken in ein Lied. Der Sänger Konstantin Wecker in seine eigene Lyrik, die von der Schauspielerin Iris Berben interpretiert wird. So füllen sich die erinnerten Lebensabschnitte mit der Gegenwart von heute, respektvoll und nachdrücklich. Kunst, so Konstantin Wecker, in einem Statement, sei wichtig, damit die Menschen ermutigt werden, zu sich selbst zu stehen. Das ist die Mahnung an die Verantwortung, die uns heute obliegt. Den Parolen keine Chance!
Credits: „Kreis der Wahrheit“. Dokumentarfilm von Robert Hofferer. Drehbuch: Robert Hofferer. Kamera: Richard Bayerl (Bildgestaltung), Wolfgang Rebernik (Zusatz) und Roger Pitann (Zusatz). Schnitt: Eva Reischl. Eine Produktion von Artdeluxe Kunst- und Kulturmanagement.
Im Verleih bei imFilm Agentur + Verleih.
Regie: Christoph Weinert
Kinostart: 7.11.24
Berlin in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Stadt war Bühne – für Theater und Malerei, für die Künste schlechthin, an jedweden Orten, für Musik, Musik, Musik. Auch für die Lieder jüdischer Musikerinnen und Musiker. Deren Songs handeln – wie anders? – von Liebe, Schmerz & Herz und Eifersucht; die Texte dieser Schlager und Chansons erzählen aber auch von Sozialismus und Zionismus. „Ich tanz und mein Herz weint“ ist der Titel eines jiddischen Liedes von Pinkas Lavender. Es ist ein Lied über zwei Leben in einem. Wohin gehöre ich? Erstaunlich doppelbödig seien diese Texte gewesen, so der Regisseur Christoph Weinert. Er rekonstruiert die Geschichte der beiden jüdischen Plattenlabels „Semer“ und „Lukraphon“, erzählt vom Schicksal der Musikerinnen und Musiker und verhilft mit dieser Wiederentdeckung und der swingenden musikalischen Neueinspielung dieser von den Nationalsozialisten verbotenen und in einer einzigen Nacht zerstörten Musikkultur zu beglückender Vitalität.
Credits: „I Dance, But My Heart Is Crying“. Dokumentarfilm von Christoph Weinert. Drehbuch: Christoph Weinert. Kamera: Boris Heiland, Michael Weihrauch und Hans Oliver Wolf. Eine Produktion Flemming Postproduktion in Koproduktion mit JMAG:productions und ZDF und in Zusammenarbeit mit Arte Deutschland. Im Verleih bei Farbfilm verleih.
Regie: Basel Adra, Hamadan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor
Kinostart: 14.11.24
Im Zentrum des Films steht der junge palästinensische Aktivist Basel Adra, der in einer dörflichen Gegend südlich von Hebron im Westjordanland lebt. Die Häuser der palästinensischen Bewohner sollen einem Truppenübungsplatz der israelischen Armee weichen. Bulldozer reißen sie ein. Zusammen mit dem israelischen Journalisten Yuval Abraham und anderen Unterstützern dokumentiert der Film diese Vorgänge, thematisiert auch Übergriffe von israelischen Siedler:innen auf die Palästinenser:innen. Der Film wurde im Oktober 2023 abgedreht, der terroristische Überfall der Hamas vom 7. Oktober auf Israel wird jedoch nur am Rande erwähnt. Auf der Berlinale 2024 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet, von der Kritik zumeist als ‚aufrüttelnder Film‘ gewürdigt, löste er – nicht zuletzt auch wegen des Auftritts der Filmmacher auf dem Berliner Festival, bei dem sie vor dem Hintergrund des Massakers vom 7. Oktober sich nicht nur anti-israelisch, sondern auch – wie Teile des Publikums – antisemitisch positionierten – eine kontroverse Debatte über antisemitischen Israel-Hass aus. Die Filmemacher, Israelis wie Palästinenser, wollen mit diesem Dokumentarfilm ‚vermitteln‘, begreifen den palästinensischen Protest als einen kreativen Akt des Widerstands gegen Ungerechtigkeit. Und stoßen gewollt oder ungewollt nicht nur in eine Atmosphäre der Zensur und Selbstzensur vor, sondern auch in die Sphäre und den Dunst eines sich ausbreitenden Hasses gegen Israel, jenseits eines strittigen politischen Diskurses. Kontrovers.
Credits: „No Other Land“. Dokumentarfilm von Basel Adra, Hamadan Ballal, Yuval Abraham und Rachel Szor. Drehbuch: Rachel Szor. Kamera: Rachel Szor. Schnitt: Basel Adra, Hamadan Ballal, Yuval Abraham und Rachel Szor. Eine Produktion von Yabayay Media und Antipode Films. Im Verleih bei IMMERGUTEFILME.
Regie: Andreas Hartmann, Arata Mori
Kinostart: 14.11.24
Es ist die blaue Luft des Nirgends, die über Tokio lastet. Nicht nur über der Metropole. Wer bin ich in diesem städtischen Nirwana? Das ist eine Frage, die sich Menschen stellen. Für viele Frauen und Männer ist die Frage eine existenzielle Herausforderung. Sie blicken ins Leere, die für sie kein Leben mehr ist. Doch leben wollen sie trotzdem. Sie halten es nicht mehr aus – bedrängt von unglücklichen Liebesgeschichten, belastet von beruflichem Druck, wollen gar kriminellen Nachstellungen entkommen. Auf geheimnisvolle Weise verschwinden in Japan jährlich etwa 100.000 Menschen. Verschwinden mit Hilfe professioneller Agenturen, sogenannten Night Moving Companies, die ihnen ein Leben in einer schützenden Anonymität anbieten. Zweifellos ein Geschäft. Diese Menschen, die ihrem bisherigen Leben entfliehen wollen, werden „Johatsu“ genannt, übersetzt, „die zu Wasserdampf werden“. Die beiden Regisseure begeben sich auf Spurensuche – spüren in der Dunkelheit der Anonymität, in der Isolation des Verschwindens und Verschwundenseinwollens nach den Helfern, befragen die, die zurückbleiben. Ohne zu wissen, wo die Bekannten geblieben sind, treffen Untergetauchte. Kann ein Mensch sich in Luft auflösen?
Credits: „Johatsu – Die sich in Luft auflösen“. Dokumentarfilm von Andreas Hartmann und Arata Mori. Drehbuch: NAME. Kamera: NAME.
Schnitt: NAME. Eine Produktion von NAME. Im Verleih bei NAME.
Regie: Jan Schmidt-Garre
Kinostart: 14.11.24
Der Pianist Francesco Piemontesi hört eine unveröffentlichte Aufnahme des Pianisten und Komponisten Sergei Rachmaninoff. Er ist überwältigt von der Virtuosität und der Freiheit des Spiels. Davon inspiriert, beschließt Piemontesi das Werk Rachmaninoff weiter zu erforschen. Piemontesi begibt sich gemeinsam mit Regisseur Jan Schmidt-Garre auf eine musikalische Spurensuche. Sie reisen zu älteren Kolleg:innen, die ihnen ihre Fragen zu geheimen Elementen des Klavierspiels beantworten können. Ihr Weg führt sie nach Spanien, Frankreich und Großbritannien, wo sie Pianist:innen wie Maria João Pires, zu Jean-Rodolphe Kars, Stephen Kovacevich treffen. ALCHEMIE DES KLAVIERS macht das Werk des 1943 verstorbenen Rachmaninoffs wieder lebendig.
Credits: „Die Alchemie des Klaviers“. Dokumentarfilm von Jan Schmidt-Garre. Drehbuch: Jan Schmidt-Garre. Kamera: Diethard Prengel. Schnitt: Sarah J. Levine. Eine Produktion von Pars Media in Koproduktion mit Serge Rachmaninoff Foundation, BR und ORF und in Zusammenarbeit mit Arte Deutschland, RSI-Radiotelevisione Svizzera, SRF, NRK, Sveriges Television und Naxos Audiovisual. Im Verleih bei Barnsteiner Film.
Einen Beitrag zu den neuen Dokus, die im Oktober im Kino angelaufen sind, finden Sie hier: