Sibylle Hanau-Brodmann

Roman Brodmann Preis 2022 – Feierliche Vergabe

Die Verleihung des Roman Brodmann Preises fand am 28. April 2022 in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz in Berlin statt, im Anschluss an das Roman Brodmann Kolloquium – eine gemeinsame Initiative vom Haus des Dokumentarfilms und dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik.

Preisrede von Roger de Weck

Der Schweizer Publizist Roger de Weck hielt bei der erstmaligen Vergabe des Roman Brodmann Preises die Festrede. Wie bei dem brillanten Medienfachmann und bekennenden Europäer nicht anders zu erwarten, war es eine politische Rede.

Der Journalist Brodmann – Ein Schweizer im Exil

Roger de Weck rief dem Publikum die wichtigen Weichenstellungen der journalistischen Laufbahn von Roman Brodmann (1920-1990) in Erinnerung. Mehr als einmal war es das Anecken mit der Schweiz beziehungsweise den Medien seines Herkunftslandes, wodurch Brodmanns Lebensweg geprägt wurde. Da war in den 1960er Jahren zunächst der Bruch mit der Schweizer Zeitungswelt.

„Die einschlägigen Berufserfahrungen lassen sich kurz auf einen einfachen Nenner bringen“, zitiert de Weck seinen Landsmann. „Unsere Pressefreiheit besteht darin, dass ein Journalist alles schreiben kann, solange er nicht unbedingt gedruckt werden will. Und dass man sein Geschriebenes im Allgemeinen druckt bis auf das, was den Inserenten nicht gefällt. Darum schließlich ging ich zum Fernsehen.“ Doch auch beim Schweizer Fernsehen, dessen Generaldirektor Roger de Weck später (2011-2017) wurde, sei Brodmann nicht glücklich geworden. Nach Querelen über Brodmanns Sendung „Freitagsmagazin“ habe man ihn kurzerhand entlassen.

chweizer Publizist Roger de Weck
Die Brodmann-Rede hielt der Schweizer Publizist Roger de Weck © Lukas von Loeper

Aufbruch der „Stuttgarter Schule“

Brodmann ging nach Deutschland, zunächst zum ZDF. 1965 wurde er vom damaligen SDR, einem der beiden Vorgänger des heutigen SWR, abgeworben. Er war jemand, der sich dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und der Charta des öffentlich-rechtlichen Auftrages, wie sie ihn die BBC als erste Rundfunkanstalt formuliert hatte, verpflichtet fühlte. Im Namen dieses konkreten Auftrages wollte er Journalismus betreiben. In der jungen „Fernsehwerkstatt“ des SDR traf er auf Gleichgesinnte, eine Clique von Autoren und Redakteuren, die sich vorgenommen hatte, einen eigenen kritischen Stil und eine eigene Programmatik zu entwickeln.

Die „Stuttgarter Schule“, wie sie später genannt wurde, setzte sich von der bloßen Chronistenpflicht einer staatsgefälligen Presse selbstbewusst ab. Berichterstattung „fassadenhaft wie die Wochenschau“ hatte man satt. Es waren die Adenauer-Jahre. Dem Muff des Wir-sind-wieder-wer wollten die Stuttgarter Redakteure kritisch begegnen. In der jungen Fernsehlandschaft wollte man Avantgarde sein, inhaltlich und technisch, und eines auf keinen Fall: staatsnah.

Publikum im Saal

Die Charta des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks unter Beschuss

In seiner Brodmann-Rede erinnerte Roger de Weck eindringlich daran, wie sehr die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen derzeit überall in Europa, nicht nur in Deutschland und in der Schweiz unter Beschuss stehen. „Ihr Prinzip, gute Information für eine gute Demokratie, Darstellung, Inklusion und Integration von Minderheiten, Förderung des Kulturellen, also des Zivilisierten, das war früher breiter Konsens und ist es heute nicht mehr“, stellte de Weck fest. „Wir haben quer durch Europa politische Kräfte, die antiaufklärerisch und antihumanistisch sind und die deshalb die in den Werten der Aufklärung und des Humanismus verankerten Leistungsaufträge des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks als tendenziös und parteiisch empfinden. Sie wollen einen solchen Journalismus nicht! Und das drückt sich in einem Umdrehen des Journalismus hin zur Propaganda aus. Wir haben heute weite Teile des Medienbetriebs, die nicht länger dem Journalismus frönen, sondern dem Propagandistischen.“

In seiner Zustandsbeschreibung kommt de Weck zum Fazit, dass es inzwischen sehr viel billiger sei, gute Propaganda als guten Journalismus oder gar gute Dokumentarfilme herzustellen. Und dies gelte nicht allein für Russland; man schaue sich nur Bild-TV oder die Übernahme von Twitter durch den Tesla-Chef Elon Musk an. „Propaganda, der wir allergisch begegnen, wenn es russische ist. Diese Allergie aber sollten wir auch bei uns pflegen!“ So wie Roman Brodmann sich jeder Art von politischen Allmachtsphantasien entgegengestellt und dies als den eigentlichen Auftrag der Medien verstanden habe: „Er war einer, der die Macht beschränken wollte, jede nur denkbare Macht!“

Roman Brodmann, schloss Roger de Weck seine Rede, habe den politischen Dokumentarfilm radikal neu erfunden. „Diejenigen, die in seinem Namen nominiert worden sind, und diejenigen, die den Preis schließlich tragen werden, können stolz darauf sein.“

Die Regisseurin Elwira Niewiera nimmt den Roman Brodmann Preis entgegen
Die Regisseurin Elwira Niewiera nimmt den Roman Brodmann Preis entgegen © Lukas von Loeper

THE WINNER IS … „Das Hamlet-Syndrom”

Roger de Wecks Rede fand großen Applaus. Die Programmatik des Roman Brodmann Kolloquiums und des Preises, der sich explizit an den politischen Dokumentarfilm richtet, hätte kaum jemand besser auf den Punkt bringen können als dieser bekennende und anerkannte Kämpfer für demokratische Werte, Medienfreiheit und Medienverantwortung.

Festlich wurde es mit dem Auftritt der Jury. Die Editorin Anne Fabini verlas im Namen ihrer beiden Mit-Juror:innen, der Filmkritikerin Esther Buss und dem Journalisten und Moderator Knut Elstermann, die Begründung der Jury. Und Sibylle Hanau-Brodmann, Tochter von Roman Brodmann, verriet den Gewinnerfilm. Die beiden Filmschaffenden des „Hamlet-Syndroms“ waren unter Vorwänden zum Kolloquium gelockt worden und konnten den Preis persönlich entgegennehmen. Ihr Kinodokumentarfilm wurde in Kiew gedreht, in einem Theater. Er dokumentiert die Proben einer modernen Hamlet-Adaption und macht auf die Gewalt- und Kriegserfahrungen der „Generation Maidan“ aufmerksam.

Dankesrede von Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski

Es war nicht leicht für Regisseurin Elwira Niewiera und Kameramann Piotr Rosolowski, sich in diesen Tagen freizumachen. Aktuell engagieren sie sich für die Evakuierung eines ukrainischen Kinderheims und die Unterbringung der Kinder in Deutschland. Und seit Beginn des Krieges unterstützen sie die Protagonisten ihres Films durch Transporte mit militärischer und medizinischer Ausrüstung. In ihrer bewegenden Dankesrede sagten sie: „Seit Wochen sehen wir täglich diese schrecklichen Kriegsbilder. Russlands sinnloses Blutvergießen und die grauenhafte Zerstörung müssen endlich gestoppt werden. Es ist richtig, dass Deutschland jetzt schwere Waffen an die Ukraine liefert, um den russischen Angriff möglicherweise so weit zurückzuschlagen, bis die russische Führung doch noch zu echten Verhandlungen bereit sein wird. Die Gleichgewichte der Kräfte sind das einzige Mittel, den Frieden zu retten.“

Elwira Niewiera bei ihrer Dankesrede (links); zusammen mit Kameramann Piotr Rosolowski (rechts) © Lukas von Loeper

„Das Hamlet-Syndrom“ – Narben und Traumata

Der Kinodokumentarfilm „Das Hamlet-Syndrom“ über den Krieg von 2014 wurde im Winter 2021/22 fertiggestellt. Kaum war die Postproduktion abgeschlossen, begann der neuerliche Angriff Russlands auf die Ukraine. So dokumentiert Niewieras und Rosolowskis Film auf erschütternde Weise, wie die Kunst von der Realität eingeholt, geradezu überrollt wird. Noch einmal aus der Laudatio der Jury: „Für die Zuseher:innen ist „Das Hamlet-Syndrom“ eine zutiefst immersive Erfahrung. Vibrierende Nahaufnahmen und Einstellungen, die die Interaktion zwischen den Darsteller:innen einfangen, wechseln mit Probenaufnahmen und Szenen, die sie in ihrem persönlichen Umfeld zeigen und ihre Bühnen-Persona um einen größeren Kontext erweitern. Kunst, Privatleben und Politik zeigen sich aufs Engste miteinander verwoben.“

Jurorin Anne Fabini verliest die Laudatio. Im Hintergrund Jurorin Esther Buss und Juror Knut Elstermann © Lukas von Loeper

Der Preisträgerfilm – Ein politischer Dokumentarfilm zur Stunde

Der Dokumentarfilm „Das Hamlet-Syndrom“ ist noch nicht veröffentlicht. Der Kinostart ist für Herbst 2022 geplant, die Fernsehausstrahlung erfolgt nach Ablauf der Kinosperre zuerst auf ARTE, dann beim SWR. Für die Redaktion beim SWR war Eva Witte verantwortlich; sie wohnte der Preisverleihung bei. Die Teilnehmenden des Roman Brodmann Kolloquiums konnten den Film in voller Länge im Rahmen einer exklusiven Branchenvorführung anschauen.

image_pdfAls PDF speichernimage_printDrucken
Picture of Ulrike Becker
Ulrike Becker betreut verschiedene Projekte im Haus des Dokumentarfilms, darunter der von ihr 2022 initiierte Roman Brodmann Preis.
Facebook
Twitter