Meisterklasse Harrich SWR 23.01.23 Astrid Beyer u. Daniel Harrich

Daniel Harrich: „Ich will politisch etwas bewegen“

In der von Astrid Beyer (HDF) kuratierten Meisterklasse am 27. Januar 2023 gab Daniel Harrich Einblick in die Entstehung seiner Spiel- und Dokumentarfilme. Er gilt als Meister der Recherche und Erfinder des investigativen Spielfilms.

Zusammen mit SWR-Redakteur Thomas Reutter (Dokumentation & Gesellschaft) und Manfred Hattendorf (SWR Abteilungsleiter Film und Planung) hat der Filmemacher Daniel Harrich ein schlagkräftiges Konzept entwickelt: Die Ergebnisse seiner umfangreichen Recherchen werden in einem investigativen Spielfilm und einer flankierenden Dokumentation veröffentlicht. Ausgestrahlt werden sie im Rahmen von ARD-Themenschwerpunkten.

Genre des investigativen Spielfilms

„Manfred Hattendorf ist der Vater des Genres. Für uns ist es ein Schatz, dass er unsere dokumentarische Sprache versteht“, lobt Daniel Harrich die enge Zusammenarbeit. „Wenn man mit anderen Filmschaffenden spricht, hört man oft: ‚Die Redakteurinnen und Redakteure machen mir etwas kaputt‘ oder ‚Die arbeiten gegen mich‘. Aber das ist nicht so. Wir haben alle eine Rolle und jeder bringt seine Talente ein. Das Schöne an meinen Filmen ist, dass man wirklich sagen kann: Es sind keine Autorenwerke, wo nur ein Mensch etwas macht. Es ist vielmehr eine Gemeinschaftsarbeit von A bis Z.“

Meisterklasse HarrichSWR 27.01.23 Astrid Beyer, Daniel Harrich, Manfred Hattendorf

Harrichs Produktionen über Waffengeschäfte, Terrorismus, Medikamentenpfusch oder die Privatisierung von Wasser wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet. Unter anderem erhielt der Filmemacher 2016 den Grimme-Preis für die Recherchen zur Doku „Tödliche Exporte“, 2021 den Bayerischen Fernsehpreis für „Geschäftsmodell Terror – Unsere Geheimdienste und der Dschihad“ sowie 2022 den Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelthilfe in der Kategorie „Video“ für die Dokumentation und den gleichnamigen Spielfilm „Bis zum letzten Tropfen“.

Spielfilm als Lokomotive der Auswertung

Fast noch wichtiger als die Preise ist ihm die politische Wirkung, die er mit seiner Arbeit erzielt. „Wir wollen einen Film, der die Leute anspricht und im besten Sinne ‚Mainstream‘ ist. Das ist unser gemeinschaftlicher Anspruch. Wir wollen das größtmögliche Publikum erreichen und keine Arthaus-Filme machen, die in Programmkinos laufen. Bei uns geht es darum, politisch etwas zu bewegen. Dazu brauchst du Millionen Zuschauer und namhafte Stars in allen Rollen.“ Auch Manfred Hattendorf bekräftigt: „Der Spielfilm ist die große Lokomotive, um die Fakten zu vermitteln und eine möglichst breite Auswertung zu ermöglichen.“

Den Zeitgeist erwischen

Im Hitzesommer 2022 erzielten Harrichs Produktionen „Bis zum letzten Tropfen“, die als Fernsehfilm plus gleichnamige Dokumentation in der ARD-Themenwoche #unserwasser ausgestrahlt wurden, sowie seine Doku „Die große Dürre – Was tun, damit Deutschland nicht austrocknet“ überdurchschnittliche Quoten.

Bis zum letzten Tropfen Filmstill

Zusätzlich produzierten mehrere ARD-Sender im Rahmen von #unserWasser Berichte in aktuellen Magazinen, Auftritte in Talkshows und Aktivitäten in den sozialen Medien. Bundesweit beteiligten sich Zuschauer:innen an einem Crowd-Science-Projekt. Sie meldeten und dokumentierten trocken gefallene Bäche und Seen in ihrer Nachbarschaft. So bekamen Themen wie die Privatisierung des Wassers oder die Folgen des Klimawandels viel Aufmerksamkeit „Es ist immer die Frage des Timings, um den Zeitgeist zu erwischen, damit ein Thema richtig zur Geltung kommt“, ist Harrich überzeugt. Insgesamt wurden mit der ARD-Themenwoche #unserWasser rund 40 Millionen Kontakte erreicht.

Arbeit im vertrauten Team

Meisterklasse HarrichSWR 27.01.23 Daniel HarrichDaniel Harrich ist in einer Dokumentarfilmfamilie aufgewachsen. Als Trotzreaktion, so erzählt er, wollte er deshalb „etwas Vernünftiges“ lernen und Investment Banker werden. Er studierte in Großbritannien und den USA und bekam danach Jobangebote von Banken. Doch irgendwie gelang es seinem Vater Walter Harrich dann doch, ihn vom Film zu überzeugen. Sie gründeten diwafilm als klassisches Familienunternehmen – die Mutter Danuta Harrich-Zandberg als Produzentin, sein Vater verantwortlich für die Bildgestaltung. In der Meisterklasse vom Haus des Dokumentarfilms, die im SWR Funkhaus Stuttgart stattgefunden hat, wird immer wieder deutlich, wie wichtig die Eltern für Harrich auch als Berater sind. Diwafilm hat eigenes Equipment, dadurch entsteht Flexibilität in Bezug auf Dreh- und Schnitttage. „Wir drehen oft ohne Auftrag“, sagt Harrich offen. Seine Filme realisiert er stets mit dem gleichen Produktionsteam. Und auf Senderseite sind Manfred Hattendorf und Thomas Reutter regelmäßig seine Projektpartner.

Wie Harrich eingesteht, falle es ihm aber schwer, neue Menschen in seinen „Inner Circle“ aufzunehmen und ihnen bei der Zusammenarbeit blind zu vertrauen. Einer, der sich dieses Vertrauen über die Jahre verdient hat, ist Editor Constantin Dauch. Er hat mittlerweile etliche Harrich-Filme geschnitten und gehört quasi zur Familie. „Ich arbeite nur mit Menschen, die ich gernhabe“, so Harrich.

Journalismus ist kein Aktivismus

Die Recherchen zu Harrichs brisanten Themen und der Austausch mit Wissenschaftler:innen oder Bürgerinitiativen laufen meist über Jahre. Seine ökonomischen Kenntnisse helfen dabei, Unterlagen und Dokumente richtig einschätzen zu können. Wobei sich Daniel Harrich von Aktivismus klar distanziert. Beispielsweise würde er seine Rechercheergebnisse nie weitergeben. „Wir betreiben keinen Aktivismus. Da verläuft für uns eine eiserne Grenze, denn es ist brutal wichtig, sich nicht vereinnamen zu lassen. Und zwar weder von Behörden noch von Unternehmen oder Bürgerinitiativen. Wir dürfen uns bei unserer Arbeit nicht beeinflussen lassen – von niemandem.“

Meisterklasse HarrichSWR 27.01.23 Astrid Beyer, Daniel Harrich, Manfred Hattendorf

Brisante Informationen erhalte er manchmal durch Zufall und es sei oft ein langer Prozess, wichtige Interviewpartner vor die Kamera zu bekommen. Da müsse man dranbleiben. „Wenn jemand zu mir ‚Nein‘ sagt, ist das für mich bloß eine Motivation.“ In der Regel werden von ihm weder Informationen noch Interviews bezahlt. Am wichtigsten sei, ein gutes Verhältnis zu den involvierten Personen aufzubauen. Freigaben holt Daniel Harrich nach Abschluss von Interviews nicht mehr ein, wie er erzählt. „Alles, worüber wir berichten, basiert auf wahren Begebenheiten.“ Es werde intensiv überprüft und bisher habe man noch nie eine Gegendarstellung veröffentlichen müssen. Zur journalistischen Fairness gehöre aber, die Firmen und Personen vor der Ausstrahlung mit den Vorwürfen zu konfrontieren.

Die Wirklichkeit ist manchmal stereotyp

Meisterklasse Harrich SWR 27.01.23 Astrid BeyerAuf die Frage von Astrid Beyer, ob in dem Spielfilm „Bis zum letzten Tropfen“ bei den Rollen nicht auch stark mit Klischees gearbeitet wurde, antwortet Manfred Hattendorf: „Die Wirklichkeit, die man vorfindet, ist manchmal sehr stereotyp – wie der Bürgermeister, der sich von einem internationalen Konzern um die Finger wickeln lässt.“ Gerade in diesem Film habe man die Figuren bewusst überzeichnet und den Stil des Heimatwesterns gewählt, um das Publikum gut zu unterhalten, ergänzt Harrich. Darüber hinaus müsse man sich vor Augen halten, dass die Wirklichkeit oft noch viel „heftiger“ sei als im Spielfilm dargestellt. Daher würden die Fernsehfilme am besten funktionieren, wenn man sie mit der Dokumentation und nicht losgelöst davon schaut.

Verteidigung der Demokratie ist das A und O

Die Frage eines Studenten, ob er sich auch vorstellen könne, für einen Streaminganbieter zu arbeiten, um höhere Budgets zu bekommen, verneint Daniel Harrich klar und deutlich. „Ich lebe und liebe das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Und ich glaube aus vollem Herzen und mit ganzer Seele an die gesellschaftliche Aufgabe, die es in unserer Demokratie hat. Natürlich könnte man viel mehr Geld verdienen und internationaler arbeiten. Aber am Ende kochen alle nur mit Wasser.“ Der Filmemacher betont zudem, dass man mit Streamingdiensten wie Netflix und Amazon Prime in Deutschland – anders als mit dem ÖRR – eben nicht Millionen Zuschauer:innen erreichen könne. „Ich sehe mich als Teil der ARD, auch wenn ich komplett extern bin. Wir sind als öffentlich-rechtlicher Rundfunk sehr unter Beschuss. Für mich ist also nicht der größte Antrieb, den besten Dokumentar- oder Spielfilm zu machen – unsere Demokratie durch die Arbeit zu verteidigen, die wir machen, ist für mich das Allerwichtigste.“

Meisterklasse HarrichSWR 27.01.23 Astrid Beyer, Daniel Harrich, Manfred Hattendorf

Allerdings fehle ihm bei der ARD manchmal der Mut, zu dem zu stehen, was man gut kann oder sich an außergewöhnliche Stoffe zu wagen. „Wir müssen aufpassen, nicht nur Trends hinterherzurennen und dafür das 90-minütige Fernsehspiel oder den guten Dokumentarfilm zugunsten von Serien zu vernachlässigen“, so Harrich.

Beruf und Berufung

Zugleich ist ihm bewusst: „Wir sind mit unserer Drehrate von teilweise 250:1 jenseits von Gut und Böse und schneiden so lange, bis es perfekt ist. Das geht nur mit kompletter, freiwilliger Selbstausbeutung. Anders ist es nicht zu finanzieren.“ Eine Trennung von Arbeit und Beruf gibt es bei Daniel Harrich nicht, aber die Meisterklasse macht klar: Es macht ihm Spaß und ist sein Leben, das er gegen nichts eintauschen würde. Von seinen Partner:innen erwartet er im Gegenzug aber auch, am Wochenende oder in der Nacht erreichbar zu sein. Sogar bei der Meisterklasse wird gefühlt jede freie Minute von Harrich genutzt, um zu telefonieren und organisieren, denn schon wenige Tage später steht der nächste Dreh an.

Meisterklasse HarrichSWR 27.01.23 Astrid Beyer, Daniel Harrich, Manfred Hattendorf

Das Risiko minimieren

Die Recherchen über deutsche Waffenexporte oder Terrorismus waren aufgrund des Themas mit einem höheren Risiko verbunden als die beim „Wasserthema“. Für solche Situationen gibt Harrich den Rat, beim Dreh mit ganz kleinem Team möglichst unauffällig zu bleiben und sich gut an die Gegebenheiten anzupassen. „Man muss schauen, wie man auftritt. Freundlich sein, immer unauffällig und ruhig. Wer im Four Seasons wohnt, zieht eben Blicke auf sich.“ Manchmal helfe es auch den Naiven zu spielen, der angeblich keine Ahnung hat, um Aussagen zu bekommen. Als Europäer würde man in vielen Ländern sowieso auffallen und sollte den technischen Aufwand möglichst reduzieren. „Die Technik, die wir zur Verfügung haben, bestimmt auch, was wir bekommen“, stellt Harrich fest und weist darauf hin, dass es dabei nicht nur um Bilder geht, sondern oft vor allem um den Ton.

Gräuel erlebbar machen

Staat des TerrorsEin eindringliches Beispiel findet sich in der Dokumentation „Spur des Terrors“. Harrich folgt darin den Spuren des Agenten Headley, der für mehrere Geheimdienste gleichzeitig tätig war und eine neue Form des Terrorismus entwickelte, und er fragt zugleich nach der Verantwortung westlicher Geheimdienste. Die Spannweite reicht vom Angriff auf Mumbai bis zu den Anschlägen in Kopenhagen und Paris. An einer Stelle des Films sind Terroristen am Telefon und eine weibliche Geisel zu hören, die kurz darauf erschossen wird.

Ein Zeitdokument, das den Tätern eine Stimme gibt und ihre Brutalität ganz direkt zeigt. „Der Film ist jetzt schon fünf, sechs Jahre her – aber mir läuft es immer noch kalt den Rücken runter“, sagt Harrich und erklärt: „Wenn man das schreckliche Schicksal dieser Menschen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, nicht erlebbar macht, vergisst man schnell, dass es hier nicht um abstrakte Dinge wie die neueste Drohnentechnik, sondern um Menschen geht.“

Meisterklasse Harrich SWR 27.01.23

Qualität von Medikamenten sinkt

Informant:innen aus der Pharmaindustrie waren wichtig bei seinem Dokumentarfilm „Gefährliche Medikamente – gepanscht, gestreckt, gefälscht“ (2017). Denn die Tatsache, dass die Qualität von Medikamenten abnahm, weil man die Produktion nach Asien ausgelagert hatte, wollte die Industrie nicht unbedingt öffentlich diskutiert haben. Dies hat sich bis heute nicht geändert und die Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten zeigten im Gegenteil, welche Folgen die Globalisierung der Produktion hat. In den USA sind sogar Todesfälle bekannt wegen der Behandlung mit gefälschten Arzneien.

Streben nach Gerechtigkeit

Meister des Todes FilmstillAls Motivation für seine Arbeit sieht Daniel Harrich sein Streben nach Gerechtigkeit und auch die Infragestellung des kapitalistischen Systems. „Geschichten und Themen wiederholen sich. Es gibt keine einzigartige Idee. Von daher ist es besser, an Themen, in die man sich vertieft hat, dranzubleiben“, ist die Empfehlung des erfolgreichen Regisseurs. Beispiele dafür sind seine Filme über den Export von G36 Sturmgewehren von Heckler & Koch nach Mexiko. Ein Thema, das ihn jahrelang beschäftigte und in „Meister des Todes 1+2“ (2015 und 2020) und den Dokumentationen „Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“ und „Tödliche Exporte 2 – Rüstungsmanager vor Gericht“ Eingang fand. 

Wenige Wochen nach der Ausstrahlung des ersten Films wurde 2015 gegen mehrere ehemalige Mitarbeitende des deutschen Waffenproduzenten Anklage erhoben. Zu Grunde lag der Verdacht auf Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz der Bundesrepublik Deutschland bei Exporten nach Mexiko.

(Kay Hoffmann/Elisa Reznicek)

Die Meisterklassen vom Haus des Dokumentarfilm geben Einblick in Werk und Arbeitsweise renommierter Regisseur:innen. Zu Gast waren bisher Marcus Vetter, Rosa von Praunheim, Marcel Ophüls, Fred Breinersdorfer, Andres Veiel, Sherry Hormann, Florian Oeller und Aelrun Goette. Daniel Harrich setzte die Reihe der Filmschaffenden, die mit einer dezidiert persönlichen Handschrift und ihrer Themenwahl Zeichen setzen, fort.

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