Im Januar 2025 starten acht Dokumentarfilme im Kino: SHIKUN, FILMSTUNDE 23, VIKA!, TRACING LIGHT, MISTY – THE ERROLL GARNER STORY, THE ROSSELLINIS, THE LAST EXPEDITION und HENRY FONDA FOR PRESIDENT.
Regie: Amos Gitai
Kinostart: 9.1.25
In einem überdimensionierten, geradezu brutalistischen Wohnkomplex, dem Shikun, in der Stadt Be`er Scheva, mitten in der Negev-Wüste gelegen, leben zwanzig Menschen – verschiedener Herkunft, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Sprachen. Clash of cultures!? Gitai inszeniert ein Experiment, das eine Realität abbildet. Inspiriert von Eugène Ionescos Theaterstück „Die Nashörner“, einer entschiedenen Absage an jede Art von Massenwahn und fanatisiertem Ideenkult. Episoden, Stillstand eines Augenblicks, eines Worttons und dessen Nachhall im Verschweigen, komödiantisch und in lockerer Folge. Geformten Kaskaden gleich. Wie bei Ionesco verwandeln sich einige der Protagonist:innen in Nashörner. Zur Folge: hysterische Abwehr prallt auf schnaubenden Egoismus, der sich mit der Dickhäutigkeit des Starrsinns duelliert. Der Film entstand vor dem 7. Oktober 2023. Gitai inszeniert eine ironisch-essayistische Metapher, demonstriert eine geschlossene Welt, die immer unmenschlich sein wird. Und fragt: Wirklich? Müssen sich Gesellschaften der Majorität des Unrechts ergeben?
Credits: „Shikun“. Dokumentarfilm von Amos Gitai. Drehbuch: Amos Gitai. Kamera: Eric Gautier. Schnitt: Yuval Orr und Simon Birman. Eine Produktion von AGAV Films, GAD Fiction Ventre Studio, Recorded Picture Company, Intereurop CDP, United King Films, Elefant Films und Freestudios. Im Verleih bei Arsenal Filmverleih.
Regie: Jörg Adolph, Edgar Reitz
Kinostart: 9.1.25
Sacht wird eine Kamera durch einen Klassenraum bewegt. Schülerinnen kichern, blicken direkt in den Apparat. Fühlen sich beobachtet, sind erstaunt. Was geschieht hier, fragt der Lehrer. Es ist eine Kamerafahrt. Und er lockt die Mädchen zur richtigen Antwort mit einem Vergleich zum Auto. Auch das fährt. Und fährt die Kamera hoch, dann ist es eine Kranfahrt. Und schwenkt der Kameramann blitzschnell den Apparat, dann nennt man das einen Reißschwenk. Der Lehrer heißt Edgar Reitz. 1968 führte er in einem Münchner Gymnasium einen Projektunterricht zum Thema Film durch, der vom Bayerischen Rundfunk dokumentiert wurde. Die schwarz-weißen Aufnahmen wirken nicht antiquiert, sondern haben eine frische Lebendigkeit bewahrt. Film müsse genauso an den Schulen unterrichtet werden wie Literatur. Reitz plädiert für die Verwirklichung eines Gedankens des Filmtheoretikers Béla Balázs: „Solange Film nicht an der Schule gelehrt wird, nehmen wir die wichtigste Revolution der menschlichen Bildung nicht zur Kenntnis.“ Gut 50 Jahre später, so will es ein Zufall, spricht eine der ehemaligen Schülerinnen Reitz an. Sie erzählt, dass die gemeinsame Erfahrung der Filmstunden zu einem engen Klassenverband geführt habe. Reitz, animiert, sucht die alten Filme und zeigt sie den ehemaligen Schülerinnen bei einem Treffen. Der Film dokumentiert den heutigen Dialog zwischen Filmmacher und ehemaligen Schülerinnen. Und wie selbstverständlich bewahrt er so eine Filmlektion über eine Filmlektion.
Credits: „Filmstunde_23“. Dokumentarfilm von Jörg Adolph und Edgar Reitz. Drehbuch: Edgar Reitz und Jörg Adolph. Kamera: Mathias Reitz Zausinger, Markus Schindler, Daniel Schönauer, Thomas Mauch (1968) und Dedo Weigert (1968). Schnitt: Anja Pohl, Jörg Adolph und Felicitas Sonvilla (Pre-edit). Eine Produktion von if... Productions in Koproduktion mit Edgar Reitz Filmproduktion GmbH und Bayerischer Rundfunk (BR). Im Verleih bei Real Fiction Filmverleih.
Regie: Agnieszka Zwiefka
Kinostart: 16.1.25
„Man kann vor dem Alter nicht fliehen“, erklärt die 84-jährige Protagonistin ihren Altersgenossinnen, die sich gemütlich um einen Cafétisch scharen. Eine behauptet, sie könne alte Menschen nicht anschauen. Vika hingegen will keine Seniorin sein, die wie eine Geranie im Fenster steht. Und so erfindet sie sich neu. Wird DJ und Star eines Nachtclubs in Warschau. Schrill, so finden das manche, cool, so nennen es andere. Die Regisseurin porträtiert eine Frau, die angepasst war, es nicht mehr sein möchte. Und ihr Alter nicht als Beschränkung wahrnehmen will. Der Sound des Pop rhythmisiert, die Farben grellen – die Freiheit des Alterns und Alters scheint grenzenlos. Nicht nur Kreuzberger Nächte, auch ‚Warschauer Nächte sind lang, erst fangen sie ganz langsam an, aber dann, aber dann…‘.
Credits: „Vika!“. Dokumentarfilm von Agnieszka Zwiefka. Drehbuch: Agnieszka Zwiefka. Kamera: Monika Kotecka. Schnitt: Katarzyna Orzechowska und Michał Poddębniak. Eine Produktion von My Way Studio, Ma.ja.de. Filmproduktions, Stefilm International S.r.l. – Production and Coproduction, Pystymetsä und HBO Europe. Im Verleih bei JIP Film und Verleih.
TRACING LIGHT – DIE MAGIE DES LICHTS
Regie: Thomas Riedelsheimer
Kinostart: 16.1.25
Der Film TRACING LIGHT – DIE MAGIE DES LICHTS beleuchtet in beeindruckenden Bildern und Begegnungen die essenzielle Rolle des Lichts in Natur und Kunst. Der preisgekrönte Regisseur Thomas Riedelsheimer bringt führende Wissenschaftler:innen und Künstler:innen zusammen, die sich intensiv mit Licht auseinandersetzen, darunter Forscher der Universität Glasgow und des Max-Planck-Instituts sowie die Landart-Künstlerin Julie Brook. Themen wie die Dualität von Licht als Welle und Teilchen und sein Verhalten im Kontext von Raum, Zeit und Wahrnehmung stehen im Mittelpunkt. Der Film fragt, wie Licht als Medium unser Verständnis von Welt und Realität beeinflusst. Dabei verbindet er wissenschaftliche Erkenntnisse mit künstlerischer Perspektive
Credits: „Tracing Light – Die Magie des Lichts“. Dokumentarfilm von Thomas Riedelsheimer. Drehbuch: Thomas Riedelsheimer. Kamera: Thomas Riedelsheimer. Schnitt: Thomas Riedelsheimer. Eine Produktion von Filmpunkt und Sonja Henrici Creates in Koproduktion mit Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) / 3sat und in Zusammenarbeit mit Skyline Productions Ltd. und Screen Scotland. Im Verleih bei Piffl Medien.
Regie: Georges Cachot
Kinostart: 23.1.25
Erroll Garner – der Mann, für den das Klavier erfunden wurde. Eine Legende des Jazz. Musikalisches Genie, der nie zweimal das Gleiche spielen konnte. ‚Misty‘ – seine bekannteste Komposition wurde zum Jazzstandard schlechthin; Johnny Burke schrieb einen Songtext: „Walk my way, and a thousand violins begin to play / Or it might be the sound of your hello, that music I hear / I get misty, the moment you’re near.“ Gecovert von Ella Fitzgerald, von Frank Sinatra undundund. Und doch gab es in diesem Mann, dessen Platten sich millionenfach verkauften, dessen Konzerte legendäre Erlebnisse waren, so erinnern sich Weggefährt:innen in diesem einfühlsamen und swingenden Porträt, eine beständige Traurigkeit. Der Film schenkt dem Musiker und Menschen Erroll Garner eine wache Aufmerksamkeit, die touchiert.
Credits: „Misty – The Erroll Garner Story“. Dokumentarfilm von Georges Gachot. Drehbuch: Georges Gachot und Paolo Poloni. Kamera: Filip Zumbrunn. Eine Produktion von Eine Produktion von Gachot Films in Koproduktion mit 2 Pilots Filmproduction, Idéale Audience und achtung panda!. Im Verleih bei Cologne Cine Collective.
Regie: Alessandro Rossellini
Kinostart: 30.1.25
„Realismus ist die künstlerische Form der Wahrheit“, hat Roberto Rossellini einmal gesagt. Neben De Sica, Antonioni und Visconti gilt er heute als einer der Protagonisten des italienischen Neorealismus. Verehrt, umstritten, viele Jahre vergessen und längst eine historische Figur der Filmgeschichte. Als Familienmensch war er ein Patriarch, mit seinen Liebschaften machte er Skandal, unangepasst und tabulos. Sein Enkel Alessandro Rossellini unternimmt mit seinem ersten Film den Versuch, der ‚Rossellinitis‘, wie er es nennt, auf die Spur zu kommen. Porträtiert so eine ‚wunderbare Familie, aber chaotisch‘. Frech, sarkastisch, respektlos, doch letztlich würdig montiert er Familiendokumente und Erinnerungen. So entsteht ein buntes Patchworkfamilienporträt – und wie nebenbei auch eine etwas andere Hommage an den moralischen Aufklärer voller Widersprüche namens Roberto Rossellini.
Credits: „The Rossellinis“. Dokumentarfilm von Alessandro Rossellini. Drehbuch: Andrea Paolo Massara und Alessandro Rossellini Davis Simanis Jr. Kamera: Valdis Celmiņš. Schnitt: Ilaria De Laurentiis. Eine Produktion von Rai Cinema und Cinecittà Luce. Im Verleih bei Tricorder Universe.
THE LAST EXPEDITION
Regie: Eliza Kubarska
Kinostart: 30.1.25
Himalaya – das höchste Gebirge der Erde. Landschaft des ewigen Schnees, Sehnsuchtsort von Alpinisten. Als erste Frau bezwang die Bergsteigerin Wanda Rutkiewicz acht 8000er-Gipfel. Ein Triumph in einer von Männern dominierten Welt. Von diesen beobachtet – mit Bewunderung, aber auch mit Misstrauen und Neid. 1992 verschwand sie spurlos am Kangchendzönga in Nepal. Doch halten sich bis heute Gerüchte, sie sei noch am Leben. Vielleicht verschwunden in einem buddhistischen Kloster. Wer verschwinden will, kann verschwinden, sagt ein buddhistischer Mönch. Eliza Kubarska folgt den verbliebenen Spuren dieser Frau. Geführt von deren Audiotagebuch. Montiert die verwegenen Panoramen der Bergmassive mit Aussagen jener Alpinisten, die Rutkiewicz kannten: die Bergsteiger Reinhold Messner, Krzysztof Wielicki und Carlos Carsolio sowie ihre Schwester Janina Fies und ihre Managerin Marion Feik. Es entsteht ein widersprüchliches Porträt, das Fragen offenlässt. Was trieb Rutkiewicz in diese raue, nahezu unwirkliche Welt? Lebenshunger oder Lebensangst? Lebensüberdruss oder Lebenslust? Etwas vom Wichtigsten für mich, so sagte sie, ist meine Freiheit. Die grenzenlos sein soll oder sollte … nicht nur über den Wolken.
Credits: „The Last Expedition“. Dokumentarfilm von Eliza Kubarska. Drehbuch: Eliza Kubarska. Kamera: Piotr Rosołowski, Marcin Sauter und Malgorzata Szylak. Schnitt: Bartosz Pietras. Eine Produktion von Braidmade Films in Koproduktion mit TVP Telewizja Polska, Tilt Production, SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Swiss Federal Office of Culture, Vertical Vision Film Studio, Wytwórnia Filmów Dokumentalnych i Fabularnych (WFDiF) und Zürcher Filmstiftung. Im Verleih bei Rise and Shine Cinema.
HENRY FONDA FOR PRESIDENT
Regie: Alexander Horwath
Kinostart: 30.1.25
„Henry Fonda for president“ – das war 1976 ein Einspruch der Sitcom „Maude“ auf die sich anbahnende Präsidentschaft des Schauspielers Ronald Reagan. Der Schauspieler Henry Fonda galt und gilt als Inbegriff des aufrechten Amerikaners, verkörperte in seinen Rollen das ‚Gewissen der Nation‘. Im Kern konservativ, missbilligte er die politische Rebellion seiner Kinder, um im Alter doch zu einem – wiederum aufrechten – Kritiker des kapitalismusträchtigen ‚american way of life‘ zu werden. Alexander Horwaths filmischer Essay befragt die offensichtlichen und scheinbaren Widersprüchlichkeiten der Persönlichkeit Fondas. Und verbindet mit argumentativem und cineastischem Geschick die Kinofiguren mit dem Mann hinter den Rollen. Entkleidet den nebligen Gedankenschleier des ‚american dream‘ – und achtet den Präsidenten, der nie einer werden sollte.
Credits: „Henry Fonda for President“. Dokumentarfilm von Alexander Horwath. Drehbuch: Alexander Horwath. Kamera: Michael Palm. Schnitt: Michael Palm. Eine Produktion von Mischief Films und Medea Film Factory in Zusammenarbeit mit Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)/Arte. Im Verleih bei Real Fiction Filmverleih.
Einen Beitrag zu den neuen Dokus, die im November im Kino angelaufen sind, finden Sie hier: