Neue Dokus – Kinostarts im Februar 2025

Im Februar laufen sieben Dokumentarfilme im Kino an: NICK CAVES FRÜHE JAHRE – MUTINY IN HEAVEN, NONKONFORM, SOUNDTRACK TO A COUP D’ÉTAT, IM SCHATTEN DER TRÄUME, WIE DIE LIEBE GEHT, AUF UMWEGEN und NOCH BIN ICH NICHT, WER ICH SEIN MÖCHTE.

Regie: Ian White

Kinostart: 6.2.25

Die Stimme ist unverwechselbar in ihrer lethargischen Rauheit. Nick Cave – Ikone des Punk. Ian White erzählt, wie alles begann in einem australischen Vorort. Wie alles begann mit der Band “The Birthday Party”, mit Nick Cave als Leadsänger und Rowland S. Howard, dem Gitarristen mit dem agressiv attackierenden Sound. Unbekanntes Archivmaterial, Interviews, Animationen: White reizt die filmischen Mittel aus, als wolle er im Visuellen die Klangexpressivität der Band kopieren. Band- und gleichzeitig ein visionäres Stück Musikgeschichte grellen auf. Lustvoll erzählt und mit schwarzem Humor gepfeffert.

Credits: „Nick Caves frühe Jahre – Mutiny in Heaven“. Dokumentarfilm von Ian White. Drehbuch: Ian White. Kamera: Greg Blakey. Schnitt: Aaron J. March. Eine Produktion von Ian White und Wim Wenders. Im Verleih bei Arsenal Filmverleih.

Regie: Arne Körner

Kinostart: 6.2.25

Dietrich Kuhlbrodt war zugleich Oberstaatsanwalt der jungen Bundesrepublik und exzentrischer Schauspieler in Filmen von Christoph Schlingensief und anderen. Sein Leben spiegelt die Nachkriegsgeschichte Deutschlands wider, geprägt von Widersprüchen zwischen strenger Justiz und absurder Filmkunst. Er verfolgte NS-Verbrecher und spielte gleichzeitig Nazis in provokanten Inszenierungen. Regisseur Arne Körner zeichnet in einem facettenreichen Dokumentarfilm NONKONFORM ein Porträt dieses außergewöhnlichen Lebens, mit seltenen Filmausschnitten und faszinierenden Anekdoten. Ein Blick auf einen Mann, der Justiz und Kunst auf einzigartige Weise verband.

Credits: „Nonkonform“. Dokumentarfilm von Arne Körner. Drehbuch: Arne Körner. Kamera: Max Sänger, Elias Müller und Arne Körner. Schnitt: Andrea Schumacher. Eine Produktion von Kinescope Film Hamburg in Koproduktion mit ZDF in Zusammenarbeit mit Against Reality Pictures. Im Verleih bei missingFILMs.

Regie: Johan Grimonprez

Kinostart: 6.2.25

Ein filmischer Essay über eine unselige Symbiose von Politik und Jazz. Glänzend recherchiert, rasant montiert. Mehr und mehr begehren in den 1960er Jahren afrikanische Staaten gegen die europäischen Kolonialmächte auf. Ihre Forderung: Unabhängigkeit. Unterstützt werden sie in diesem Aufbegehren – nicht ohne Eigeninteressen – von der Sowjetunion und dem Block sozialistischer Staaten. Die USA und die westlichen Verbündeten suchen nach Wegen, ihre Einflusssphäre zu wahren. Denn der Reichtum an Bodenschätzen ist das Kapital Afrikas. Propagandistisch intervenieren die USA auf unkonventionelle Weise. Sie schicken schwarze Jazzmusiker:innen nach Afrika. Sie sollen mit ihrer Musik ein positives Bild des Westens vermitteln: Louis Armstrong, Nina Simone, Dizzy Gillespie reisen an. Kalter Krieg und heißer Jazz. Grimonprez entwirrt – mit Gespür für Thrill – das Geflecht der Unterdrückung und demaskiert die Unterdrücker. Der ‚Sound‘ des Films – Bilder und Töne – bestechen und fesseln.

Credits: „Soundtrack to a Coup d'Etat“. Dokumentarfilm von Johan Grimonprez. Drehbuch: Johan Grimonprez. Kamera: Jonathan Wannyn. Schnitt: Rik Chaubet. Eine Produktion von Onomatopee Films, Warboys Films, Zap-O-Matik, Baldr Film, ZKM Center, RTBF und VRT. Im Verleih bei Grandfilm.

Regie: Martin Witz

Kinostart: 6.2.25

Berlin gestern und heute. Bilder und Töne reihen sich, verschmelzen miteinander. Der Schnitt ist fluid. Filmszenen fügen sich ein. Ohrwürmer erklingen. Auch neu interpretiert. Erzählt wird in parallel verlaufenden biografischen Bögen von Michael Jary, dem Komponisten, und Bruno Balz, seinem Textdichter. Sie bildeten in den dreißiger und vierziger Jahren, auch noch nach dem Krieg, ein Dreamteam der deutschen Unterhaltungsmusik. Sie hatten das Lied vom unerschütterlichen Seemann geschrieben, noch heute geträllert, man könnte sagen: praktisch ‚durchgehalten‘, und für Zarah Leander, Muse des Films, zahlreiche Lieder. Hits allesamt. „Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird noch einmal ein Wunder gescheh’n“.

Martin Witz erzählt die Geschichte zweier Männer, die eines begabten Komponisten und die eines nicht minder begabten Texters. Und beide im Nationalsozialismus gefangen, ja verfangen. Balz zudem bedroht, weil er homosexuell war, zeitweilig im Gefängnis und von Jary, mit dem stillen Einverständnis des Propagandaministers, freibekommen. Jary, klassisch ausgebildet, hing nicht den Traditionen der Wiener und Berliner Operette an, sondern pflegte – soweit dies hingenommen wurde – lässig eine Art ‚syncopated music‘, amerikanisch angehaucht, Slow Fox oder chromatisch fiebernde Walzer. Dass die so erhitzte Sentimentalität im Angesicht der Diktatur und des Krieges mehr als makaber war, das wird in Wortbeiträgen reflektiert. Dass Michael Jary und Bruno Balz Ende 1942 auch an dem von Goebbels initiierten Wettbewerb „Optimistischer Schlager“ teilnahmen oder teilnehmen mussten, auf dem der Reichsfilmintendant und SS-Obersturmbannführer Fritz Hippler die Crème de la Crème der deutschen Unterhaltungskunst um sich versammelte, bleibt unerwähnt: immerhin ging es da um die Goebbels-Vorgabe, dass „optimistische Töne“ angeschlagen werden sollten, nichts von Trennung und Sehnsucht und dergleichen.

Klug der Musiker Götz Alsmann, der gleichsam beschwingt eine musikhistorische Einordnung vornimmt. Viel ist von der Ambivalenz der Balz-Texte die Rede. Doch bleibt offen, was dieser Begriff meint. Ist es eine auch zeitgenössisch begriffene Doppeldeutigkeit, die den Schlagerpoemen innewohnt, oder ist es eine aus der Retrospektive den Texten zugeschriebene Mehrwertigkeit? Witz lässt erzählen, zeigt etwa, wie im Balz-Archiv die Seite eines NS-Filmbuchs aufgeschlagen wird, in das Balz unter das Frontispiz mit Goebbels notiert hat: „Spottgeburt aus Dreck und Feuer!“ Mutig sei das gewesen, sagt der Archivar, eigentlich fahrlässig, von einem, der als schwuler Mann den Nationalsozialisten nichts galt. Das unterstellt, Balz habe das in den Vierzigern ins Buch geschrieben. Wofür es eigentlich keinen Beleg gibt.

So gerät die filmische Erzählung, die Witz wie eine Revue aufblättert, manchmal in den Sog einer unbedingten Hommage. „Darf ich als Unterhaltungskünstler den Menschen eine Freude machen?“, wird an einer Stelle des Filmkommentars gefragt. Doch um welchen Preis? Und in welcher Verantwortung in einer Diktatur? Martin Witz belässt es bei einer Leerstelle ungefragter Fragen.

Credits: „Im Schatten der Träume“. Dokumentarfilm von Martin Witz. Drehbuch: Martin Witz. Kamera: Till Vielrose. Schnitt: Stefan Källin. Eine Produktion von Contrast Film Zürich und Lichtblick Film- und Fernsehproduktion in Koproduktion mit SRF, SRG und ZDF in Zusammenarbeit mit Arte Deutschland TV. Im Verleih bei Salzgeber & Co.

Regie: Judith Keil, Antje Kruska

Kinostart: 14.2.25

Echte, wahre Liebe … das steht am Anfang. Vielleicht ist es auch nur eine Behauptung oder ein Wunsch? Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß … Küsse, Hochleben, Glückwünsche. Irgendwann Kinder, noch mehr Glück, auch plötzliche Unsicherheit, Krankheit wie aus heiterem Himmel. Die Regisseurinnen begleiten vier Paare über sieben Jahre. Und dokumentieren, was sich verändert, wenn die echte, wahre Liebe den Tücken des Alltags ausgesetzt ist. Das ist mitfühlend erzählt, wahrhaftig in der Annäherung – wie eine Anleitung zur Selbstfindung und -prüfung.

Credits: „Wie die Liebe geht“. Dokumentarfilm von Judith Keil und Antje Kruska. Drehbuch: Judith Keil und Antje Kruska. Kamera: Michael Dreyer, Susanna Salonen, Jennifer Günther, Susanne Schüle und Marcus Winterbauer. Schnitt: Catrin Vogt und Judith Keil. Eine Produktion von Keil Kruska Film in Koproduktion mit RBB, WDR, MDR und RB. Im Verleih bei Real Fiction Filmverleih.

Regie: Timo Götz, Salima Oudefel

Kinostart: 27.2.25

Im April 2022 starten Timo Götz und Salima Oudefel zu einer Weltreise. Was unbeschwert beginnt, entwickelt sich zu einem Alb. Salima wird schwanger und bringt ihr Kind in Indien zur Welt. Doch die dortigen Behörden verdächtigen sie der Leihmutterschaft und hält die Familie fest. Sie dürfen nicht ausreisen. Ein langer Kampf mit den Institutionen ist die Folge. Wie sollen sie ihre Unschuld beweisen? Bis sich endlich ein Weg aus der Ausweglosigkeit zeigt. Götz und Oudefel wenden das Private ins Politische.

Credits: „Auf Umwegen“. Dokumentarfilm von Timo Götz und Salima Oudefel. Drehbuch: Timo Götz und Salima Oudefel. Kamera: Timo Götz und Salima Oudefel. Schnitt: Timo Götz und Salima Oudefel. Eine Produktion von Salima Oudefel. Im Verleih bei Reisefilm.

Regie: Klára Tasovská

Kinostart: 27.2.25

„Wieso kann ich nicht einfach so leben, wie ich will?“ Diese Frage steht am Anfang und begleitet die Protagonistin durchs Leben. Der Film porträtiert die Fotografin Libuše Jarcovjáková, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 gegen die Zwänge des tschechoslowakischen Regimes ankämpft. Sie hat Angst vor dem, was kommt. Taucht – wie eine Flucht – in die Subkultur Prags ein. Ungeschöntes Schwarzweiß. Exzessiv, kantig, ungefiltert. Auf eigene Art böse. Auch widerständig. Bilder tschechischer Rom:nja und vietnamesischer und kubanischer Wirtschaftsmigrant:innen, vor allem aber Aufnahmen der Prager LGBT-Szene. Drangsaliert von der Polizei, flieht sie nach Berlin, nach Tokio. Dort avanciert sie zur respektierten Modefotografin. Immer auf der Suche nach sich selbst. Auf einer beständigen Reise in die Freiheit, zu einem unbestimmten Sehnsuchtsort. Der Film basiert auf ihren Bildern und Tagebüchern. Das Fotografieren wie eine permanente Selbstaufnahme: „Ja, das ist ein Zwang. Ich werde nämlich extrem von Spiegeln und ihrer Reflexion angezogen. Ich fotografiere überall, im Zug, im Klo.“

Credits: „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“. Dokumentarfilm von Klára Tasovská. Drehbuch: Klára Tasovská und Alexander Kashcheev. Kamera: Libuše Jarcovjáková. Schnitt: Alexander Kashcheev. Eine Produktion von Eine Produktion von Somatic Films in Koproduktion mit nutprodukcia (SK), Mischief Films (AT), ARTE G.E.I.E. – La Lucarne. Im Verleih bei Salzgeber.

Einen Beitrag zu den neuen Dokus, die im Januar im Kino angelaufen sind, finden Sie hier: 

zu den Kinostarts vom Januar

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Picture of Wolfgang Jacobsen
Wolfgang Jacobsen, geboren 1953 in Lübeck, bis 2019 Leiter Forschung und Publikationen an der Deutschen Kinemathek. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur deutschen und internationalen Filmgeschichte. Arbeiten für Hörfunk und Fernsehen, schreibt über Film und Literatur. Lebt als freier Autor in Berlin.
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